Review Eisregen – Grenzgänger

EISREGEN sind eine Band der Gegensätze. Mal treffen fiese Splattertexte auf liebliche Melodien, mal feingeistige Lyrik auf stumpfes Riffing. Und wenn die Text nicht ausreichen, übernimmt M. Roth gewissenhaft selbst und pflegt sein Image als Unsympath, wo es nur geht. So sind EISREGEN rein musikalisch eine der wohl unterschätztesten Bands ihres Genres – sofern man sich für die Thüringer überhaupt auf ein Genre einigen kann. Und auch so mancher Text aus der Feder des Herrn Roth verdient durchaus Beachtung. Wäre da nur nicht die immer wiederkehrende, um sich selbst kreisende, mitunter schwer erträgliche Misogynie.

Mord (an einer Frau) aus Eifersucht, Mord (an einer Frau) aus Rache, Mord (an einer Frau) aus Geilheit, Mord (an einer Frau) aus Lust am Töten – all das hat man bei EISREGEN schon in mannigfaltiger Form gehört. Auch auf „Grenzgänger“ zerlegt das lyrische Ich in vier von 16 Tracks Frauen – mal als historischer Frauenmörder („Grenzgänger“), mal als reiner Splatter („In Einzelteilen“, „Kühlkammer“) oder gleich nekrophil („Herbstleiche“). Wie stumpf das ist, zeigt sich schon darin, dass Roth sich nicht einmal mehr die Mühe macht, sich nicht zu wiederholen: „Nur wenn du tot bist […] Wirst für immer bei mir sein“ singt er in letztgenanntem Song – in „Schlangensonne“ vom gleichnamigen Album hieß es 2010: „Und wenn du tot bist, wirst du immer bei mir sein.“ Kein bewusstes Zitat, wie Roth im Interview eingesteht – aber ein bezeichnendes: Wenn man zu einem Thema nichts mehr zu sagen hat, sollte man sich vielleicht besser einem anderen zuwenden.

Womöglich hat Roth das auch selbst gemerkt, denn die thematische Bandbreite der restlichen Songs ist ungewohnt groß: Mal schlüpfen wir in die Rolle eines Gladiators („Für den Kaiser“), mal in die von Gott („Als ich noch Kinder fraß“) oder eines Vampirs („Wiedergänger“) – dazwischen füllt Roth CD 1 mit den üblichen Themen Rache/Suizid („Auf Galgengrund“), Hass/Mord („Gegengift“) und Splatter/Snuff („Vom Loch-in-der-Wand-Club“) auf. Ganz anders auf CD 2: Einem Jahreszeitenkonzept folgend überraschen EISREGEN hier mit wirklich düsterer Lyrik, etwa den Schrecken des Krieges („Kadaverfrühling“) oder dem Tod an sich („Rigor Mortis). Feinsinnigere Texte hat man von Roth lange nicht, vielleicht sogar noch nie zu hören bekommen.

Ähnlich ambivalent verhält es sich mit der Musik: Nach verzichtbarem Intro überrascht der Titeltrack „Grenzgänger“ als beschwingte Midtempo-Nummer mit eingängiger (Synthie-)Violine und Keyboard. Hartes Death-Metal-Riffing gibt es dann in „In Einzelteilen“ – doch auch diesem stellen EISREGEN einen melancholischen Mittelpart mit Keyboard und Violine gegenüber. Dass letztere ziemlich synthetisch klingt (statt wie früher ziemlich schief) tut nicht weiter weh – im Gegenteil: Die omnipräsenten Melodien in den wieder stärker dem Dark Metal zugewandten Songs machen „Grenzgänger“ im Ganzen zum eingängigsten EISREGEN-Werk seit Jahren.

Fieses Black-Metal-Gesäge gibt es – passenderweise – im religionskritischen „Als ich noch Kinder fraß“ sowie „Auf Galgengrund“, melodischen Dark Metal in „Die Frau im Turm“. Und wer noch auf der Suche nach einem Ohrwurm für diese Woche war, wird in „Wiedergänger“ fündig. Dazwischen gibt es vergleichsweise erwartbare EISREGEN-Kost, die allerdings durch große Experimentierfreude bei der Instrumentierung durchweg unterhaltsam bleibt. Ehe EISREGEN den ersten Tonträger mit einem Remake von „Stirb lächelnd“ (im Original von „Leichenlager“, 2000) beschließen, gibt es mit „Gegengift“ noch einen knackigen Stampfer, zu dem Martin Schirenc (Hollenthon, Pungent Stench) ein paar extrem lässige Rock-Gitarren-Soli beisteuert.

Wie schon textlich ist CD 2 auch musikalisch noch etwas stimmiger: Was mit einem sachten Piano beginnt, entwickelt sich zu einem abwechslungsreichen Ritt zwischen melodisch schön („Kadaverfrühling“), rabiat und mitreißend („Blutsommer“), düster-melancholisch („Herbstleiche“) und schroff – allerdings einmal mehr begleitet von Streichermelodien. Abgerundet vom Quasi-Outro „Rigor Mortis“ hätte dieser Tonträger mit seinen 20:02 Minuten Spielzeit auch eine formidable EP abgegeben.

Über 60 Minuten Musik, verteilt auf 17 Songs – und das nur zwei Jahre nach dem ähnlich umfrangreichen Split-Album „Bitterböse“ (mit dem eigenen Projekt Goatfuneral): Faulheit kann man dem Duo Yantit/Roth wahrlich nicht unterstellen, eben sowenig Gier – hätten die meisten anderen Musiker aus diesen zwei doch eher vier Veröffentlichungen gemacht. Vor allem aber stimmt bei EISREGEN auch auf dem 15. Album „Grenzgänger“ die Qualität – so man bereit ist, über die diskutablen Texte hinwegzusehen.

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Wertung: 8.5 / 10

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5 Kommentare zu “Eisregen – Grenzgänger

  1. Ich finde es befremdlich und höchst unprofessionell, ein CD-Review zwei Monate nach Release der Platte zu veröffentlichen. Aktuell geht anders, alle anderen Metal-Sites haben ihre Besprechung zeitnah zum Release abgeliefert.

    1. Lieber Robert, ich finde deinen Kommentar auch befremdlich. Wenn DU unbegrenzte Freizeit hast, fühl dich gerne eingeladen, uns zu ALLEN erscheinenden Alben pünktlich zum Release Reviews abzuliefern. Wenn nicht, wovon ich ausgehe, komm drauf klar, dass es bei uns nicht anders ist. Ansonsten musst du wohl, wenn dir das hier gebotene Level an Professionalität nicht reicht, andere Magazine lesen …

    2. Wäre es dir lieber, wir würden gar nichts über Alben schreiben, die wir nicht direkt zum Release rezensieren? Ich finde deine Erwartungshaltung hierbei befremdlich.
      Was Professionalität angeht, würde ich dir dann die großen Printmagazine ans Herz legen, bei denen die Redakteure fürs Schreiben sogar bezahlt werden – da wird übrigens (bis auf die ganz großen Veröffentlichungen) ein Großteil der Alben wegen Druckschluss usw. erst NACH Release rezensiert, teilweise mehrere Monate später.

      1. Lieber ein unabhängiges Review, was dann auch die Beschäftigung mit der Platte über die Zeit darstellt, als eine Rezension anhand eines einmaligen Beschäftigens mit einer Platte. So entstehen ja leider die meisten Reviews in anderen Magazinen. Bei der Flut an Veröffentlichungen auch kein Wunder. Lasst euch lieber die Zeit, hört euch die Platten in Ruhe an und schreibt dann eine gut lesbare und nachvollziehbare Rezension. Da hat man viel mehr davon als von Schnellschüssen oder am Ende noch ein „kurz notiert“. Ihr macht alles richtig, ich wunder mich auch eher, dass ihr sogar noch so fair seid, das Album trotz des peinlichen Interviews noch positiv herauszuheben.

        Zum Album: reißt mich nicht mehr mit, Wundwasser war das letzte, was ich komplett gern mochte. Seitdem sind es nur noch vereinzelte Songs.

  2. Nach diesem desolaten Interview mit Roth hätte ich der Band keine Promo hier auf eurer Seite geboten. Aber ich vermute – und das ist auch ok – das ihr das trennt, da die Leser eben Stoff brauchen.

    Ich persönlich bin bei Eisregen lange raus. Wundwasser und die einzige Eisblut sind so ziemlich das einzige was ich von denen noch hören könnte.

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