Review Eisregen – Fleischfilm

Spätestens seit der Jahrtausendwende ist das Konzept der 1995 gegründeten Band EISREGEN eigentlich klar umrissen: Makabere Texte, M.Roths gurgelnde Stimme und simple, aber eingängige Songs definieren seither den Sound der Thüringer. Dennoch veröffentlichen EISREGEN erst jetzt, mit ihrem zwölften Full-Length, ihr erstes echtes Konzeptalbum – eine Hommage an das wilde italienische Kino der 1970er und frühen 1980er. Wer denkt, ein typisches EISREGEN-Album mit einem zusammenhängenden Textwerk erwarte ihn, wird von „Fleischfilm“ alsbald eines Besseren belehrt.

Statt den Terminus „Konzeptalbum“ einzig auf die Lyrics zu beziehen, wie das all zu oft gemacht wird, gehen EISREGEN überraschend konsequent auf’s Ganze: So ist „Fleischfilm“ in erster Linie musikalisch ein Konzeptalbum geworden – auch wenn das dem einen oder anderen EISREGEN-Fan vielleicht zu viel des Guten sein dürfte: Statt der bandtypischen Stampfer liefern die Thüringer diesmal erstaunlich vielschichtige Songs, die in Sachen Sound und Instrumentierung ohne Frage alle bisherigen EISREGEN-Alben toppen.

Bereits der Opener, „Drei Mütter“, überrascht durch pompösen Choreinsatz zwischen Bombast und Epik. Die folgenden Songs profitieren enorm vom geschickten Einsatz oftmals unerwarteter Effekte, die allesamt stark an die Soundtracks aus besagter Zeit angelehnt sind. Mit bedrohlichen Pauken und Fanfaren („Nahe der Friedhofsmauer“), Streichern („Tiefrot“) oder Orgelklängen (z.B. „Jenseits der Dunkelheit“) sorgen EISREGEN für Abwechslung und spannende Stimmungswechsel, die das Gruselige mit dem Heiteren verbinden. Vor allem aber rechtfertigen EISREGEN mit „Fleischfilm“ die Etikettierung mit dem mittlerweile ja inflationär gebrauchten Label „Konzeptalbum“ voll und ganz: Spätestens beim Mafia-Streifen „Syndikat des Schreckens“ fühlt man sich auf direktem Wege in einen verrauchten, abgewetzten Kinosaal versetzt.

Vergleichsweise schwach schneiden EISREGEN unterdessen ausgerechnet in ihrer Paradedisziplin ab: den Texten. So wirken die von Blutkehle Roth auf „Fleischfilm“ erzählten Storys über Mafiosi, Vampire und das gute alte rote Blut im Vergleich zu früheren EISREGEN-Texten etwas unspektakulär und überraschend wenig pointiert. Auf gewollt witzige Lyrics im Stile von „Panzerschokolade“ verzichten EISREGEN hingegen (dankenswerter Weise) diesmal nahezu komplett – allenfalls „Nachts kommt das Delirium“ – dank Roths Gesangslinie ein schrecklich penetranter Ohrwurm – könnte man in dieser Kategorie einordnen.

In der musikalischen Ernsthaftigkeit könnte man „Fleischfilm“ fast mit „Werk 1: Nachtfall“, dem Konzept-Debüt des EISREGEN-Nebenprojektes Marienbad, vergleichen. Wenn „Fleischfilm“ textlich auch nicht mit diesem 2011 veröffentlichten Meisterwerk mitzuhalten vermag, so hat man aus dem EISREGEN-Lager lange nicht so konsequent zu Ende gedachte Musik gehört. Nicht nur im Sinne des Konzeptes: Großes Kino!

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Wertung: 8.5 / 10

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