Unter ganz bestimmten Gesichtspunkten betrachtet, gibt es vier verschiedene Arten von CDs. Diejenigen, in die man sich mit der Zeit reinhören muss, ehe sie einem wirklich gefallen, diejenigen, die zu Anfang gut reinhauen, sich aber dann schnell abnutzen, diejenigen, die man von Anfang an scheiße findet, was sich auch nach dem zehnten Durchlauf nicht ändert, und dann gibt es da noch ein paar wenige Alben, die man von Anfang an ins Herz schließt und die trotzdem bei jedem Hören nur noch besser werden. Als geneigter EDGE OF SANITY-Fan muss ich mich doch glatt fragen, ob Mastermind Dan Swanö dem Teufel seine Seele verkauft hat, oder ob der Mann einfach von Natur aus so gut ist. Soweit ich das beurteilen kann, hat er mit seiner Hauptband nämlich ausschließlich Alben der vierten Zunft aufgenommen.
1996 entschied Swanö sich, obwohl er mit all seinen Projekten wie Nightingale und Infestdead und mit seiner Arbeit als Produzent eigentlich genug um die Ohren gehabt haben dürfte, mit seinen Mitstreitern von EDGE OF SANITY mal eben die Idee des Konzeptalbums zu revolutionieren. Wo andere Bands ihre Geschichte in mehreren kürzeren Episoden vorantreiben, setzte der Workaholic auf ein anderes Pferd, denn er war wohl der Ansicht, dass sein persönliches Epos es wert wäre, in einem Zug erzählt zu werden. „Crimson“ war geboren. Ein Lied, auf die Sekunde genau vierzig Minuten Spielzeit.
Die Geschichte, die dahinter steckt, ließt sich folgendermaßen: In einer düsteren Zukunft, in der die Erde von einem Königspaar regiert wird, hat die Menschheit die Fähigkeit der Fortpflanzung verloren. Inmitten dieser aussichtslosen Lage wird die Königin plötzlich schwanger und es wird klar: Das Kind kann nur von einem Gott gesandt worden sein. Bei der Geburt ihrer Tochter stirbt die Königin und kurze Zeit später auch der König. Als sich dann aber nach Jahren des Krieges um den Thron die mittlerweile erwachsene Prinzessin zur neuen Herrscherin aufschwingt, scheint die Menschheit gerettet. Doch die Motive des göttlichen Kindes sind nicht so rein und unschuldig, wie es zuerst den Anschein hatte.
Mehr will ich mal nicht ausplaudern, aber der Text von „Crimson“ ist an sich schon ein Meisterwerk (auch wenn Texter Swanö grammatikalisch nicht immer den richtigen Ton trifft, aber er ist ja kein Native Speaker). Und die Musik steht dem Ganzen da in nichts nach. „Crimson“ ist als Musikstück so abwechslungsreich, wie es komplex ist. Wüstes Geblaste und tiefe Death Metal Growls (teilweise aus der Kehle von Opeth-Chef Mikael Akerfeldt) wechseln sich mit ruhigen Akustik-Arrangements, eher entspannten Prog-Einwürfen und Swanös coolem Klargesang ab. An einer Stelle wird sogar ein Cello mit eingebracht, an dem Swanös alter Kumpel aus Unicorn-Tage, Anders Mareby, Platz nahm. Handwerklich bewegt sich die gesamte Band auf sehr hohem Niveau und auch die technische Seite weiß zu überzeugen. Teilweise ist die Aufnahme ein klein wenig dumpf geraten, aber im Großen und Ganzen kommt der Sound sehr mächtig und transparent rüber.
Unter all den großartigen Veröffentlichungen, die die 2003 aufgelösten EDGE OF SANITY über all die Jahre hinweg auf den Markt brachten, nimmt ihr fünftes Album „Crimson“ noch einmal eine Sonderstellung ein. Alleine für den Aufwand, den das Komponieren und Einspielen dieses Monstrums von einem Song gemacht haben muss, kann man nicht anders, als vor Dan Swanö und seinen Mitstreitern den Hut zu ziehen. Und wenn man dann noch die musikalische Qualität betrachtet, dann kann man eigentlich nur ein schlechtes Gewissen kriegen, wenn man diesem Meilenstein des progressiven Death Metals die Höchstpunktzahl verweigert. Naja… und damit möchte ich mein Gewissen wirklich nicht belasten.
Wertung: 10 / 10