Review Dream Theater – Scenes from a Memory

Bei dem mittlerweile fünfte Studioalbum wagen sich Dream Theater erstmals an ein Konzeptalbum. Zwei Silberlinge mit einer Menge komplexer Musikverschachtelung, instrumentaler Perfektion und großartiger Produktion – soweit die Dinge, die ohnehin jeder von Dream Theater erwartet. Natürlich wird er sie auch diesmal finden.

Thematisch erleben wir die Session eines gewissen Nicholos bei einem Psychater, durch dessen Betreung er hofft, seine verwirrenden Träume besser zu verstehen. Träume, in denen er immer wieder von einem Mädchen namens Victoria heimgesucht wird, die bereits vor langer Zeit verstorben ist. Auf den insgesamt 77:14 Minuten erfolgt nun eine musikalische Reise durch Nicholas Unterbewusstsein.

Dass Dream Theater gerade jetzt zu einem Konzeptalbum neigen, scheint eine logische Konsequenz. Das Vorgängeralbum “Falling Into Infinity” stieß, für Dream Theater ungewohnt, erstmals auf negative Kritiken. Die Musik sei “selbstverliebt” und “angeberisch” titelte zB. der Musical Express. Natürlich – Mike Portnoy beweise wieder einmal, dass er der wohl beste Drummer der Welt sei (und der größte Angeber noch dazu) und auch Petrucci und Myung lieferten eine instrumentelle Meisterleistung – doch darüber hinaus habe Dream Theater das Schreiben der Songs vergessen. “Musik der Selbstdarstellung willen” warf der “Metal Observer” den Amerikanern vor. “Musikalische Onanie” sogar.

Ob diese Kritik nun berechtigt war, oder nicht – Dream Theater schien sie zum Anlass genommen zu haben, noch abstraktere Themen musikalisch umzusetzen. Die Reise eines Mannes durch seine Psyche. Spirituelle Todeserfahrung, Reinkarnation, psychologische Abgründe – darunter machen sie es nicht.

Und so erleben wir, einmal mehr, Mike Portnoys brilliantes Drumspiel, Petruccis perfekte Gitarrenskits, Myungs fantastische Bassbeherrschung und Rudess’ Zauberei am Keyboard. Nichts neues soweit. Und wieder ist da dann noch jemand der singt: James LaBrie – gut, aber eben nicht überragend und somit das schwächste Glied der Dream Theater Kette. Fähig, die Qualität des Instrumentalen zu erhalten, aber nicht fähig, dem Ausnahmespiel von Portnoy, Petrucci, Myung und Rudess noch etwas hinzuzufügen.

Hatte man bei “Falling Into Infinity” teilweise tatsächlich noch den Eindruck, dass die Songs nur eine musikalische Präsentationsbühne für instrumentalen Extremsport waren, so erleben wir hier ein rundum verbundenes Werk. Wenn James LaBrie zwischen Keyboard und Drumsolo in einer anfänglich an Pink Floyd erinnernden Ballade “Fatal Tragedy” “Without faith, Without hope, There can be no peace of mind” in die Gehörgänge des Hörers schmettert, dann passt alles zusammen.

Die Harmonien, die Modulationen, die Kontrapunkte – alles scheint perfekt gesetzt und fügt sich in das Gesamtbild. Dream Theater führen uns durch Nicholas’ psychologische Tiefen und spätestens wenn die orientalischen Melodien vom musikalischen Mittelstück “Home” verklungen sind und sich der Song mit eingebauten Samples zu orgiastischen Instrumental-Passagen steigert, kann man sich der Magie der Musik kaum entziehen. Das folgende, 6-minütige “Dance Of Eternity” schwelgt im gleichen Rausch weiter, steigert diesen gar noch in ungeahnte Höhen und Dream Theater erreichen ihren komplexen Höhepunkt. Bereits wenig später erklingt die Schlussnummer “Finally Free”, in der noch einmal die tragenden musikalischen Motive des Albums aufgegriffen werden und eine Reise zu Ende geführt wird.

Eine Reise vierer Ausnahmemusiker mit Sänger, die Kritik nur noch ihrer selbst Willen zulassen wird. Entsprechend hilflos waren Dream Theater Gegensprecher diesmal und flüchteten sich in nichtssagende Argumenationen. So entblödeten sich einige Kritker nicht, erneut darauf hinzuweisen, Dream Theater wolle zu viel und habe vor lauter musikalischer Brillianz das vergessen, worauf es ankommt. Keine dieser Stimmen konnte jedoch, vielsagender Weise, wirklich aufzeigen, wo der Schwachpunkt dieses Albums genau liegen soll.

Wie Keyboarder Rudess später in Interviews preisgab entstand “Scenes from a memory” völlig ohne Einwirken der Plattenfirma, welches bei dem ungeliebten Vorgänger ausartend der Fall gewesen sei.

Mag dies nun der Grund sein, oder auch nicht. Gab es jemals eine kreative Krise bei Dream Theater, so ist sie überwunden. “Metropolis Part II – Scenes from a memory” erreicht genau das, was ein gutes Progressive Album ausmacht. Beim ersten Hören bleibt kaum etwas hängen, ausser Überwältigung und der Gewissheit, soeben etwas Großes gehört zu haben. Desto öfter man jedoch die Play Taste seines CD-Spielers betätigt, desto mehr Freude findet man an diesem Album. Und so hört man es immer und immer wieder, entschlüsselt es mehr und mehr und entdeckt immer mehr von seiner Schönheit. Eine Schönheit, die schlichtweg überwältigend ist.

So überwältigend, dass bei der Benotung kein Spielraum bleibt.

(Stingray)

Wertung: 10 / 10

Geschrieben am 5. April 2013 von Metal1.info

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert