Kaum eine Melodic-Metal-Band hält sich in der Szene so standhaft wie die Hessen DOMAIN. Sie entstanden aus der 1985 gegründeten Formation Kingdom. Das erste Werk „Our Kingdom“ war dann auch eine Wiederveröffentlichung des Kingdom-Albums „Lost In The City“. Schon damit und mit dem Nachfolger „Before The Storm“ konnten DOMAIN ein Markenzeichen setzen. In den 90ern hielten sie sich dezent zurück, um nach der Jahrtausendwende wieder voll durchzustarten. „The Chronicles Of Love, Hate And Sorrow“ ist das inzwischen neunte Studioalbum des Quintetts. Es handelt sich um ein Konzeptalbum, für das als Vorlage Goethes Literaturklassiker „Die Leiden des jungen Werther“ dient.
Es fällt auf, dass auch DOMAIN an Schmackes zugelegt haben. Wie auch schon bei Rough Silks neuestem Werk, wird der Hörer mit mehr Dynamik und Power konfrontiert, ohne dass die melodische Marschrichtung vernachlässigt wird. Offenbar orientieren sich einige Bands aus den Hardrock- und Melodic-Metal-Bereichen momentan neu. Neben einem mächtigen Groove führen aber weiterhin Gitarre und Keyboard die harmonische Seite und sorgen für die melodischen Hooklines, die auch weiterhin DOMAINS Kompositionen auszeichnen.
Ein weitere Parallele, die mir beim Hören auffiel, muss ich zu den Werken von Avantasia ziehen. Durch die teilweise opulente orchestrale Anreicherung und die epischen Choralpassagen – besonders bei „Sweeping Scars“ – nähert man sich etwas den Metal-Opern von Tobi Sammet an. Aber auch dies ist sicherlich kein schlechter Schritt und zeugt von der Weiterentwicklung.
Wer sich ein wenig mit der Band beschäftigt, hat bestimmt über den Weggang von Sänger Carsten Schulz (Evidence One) gelesen. Die Frage war ja jetzt, wie sich Neusänger Nicolaj Ruhnow schlagen würde, von dem ich zugegebenermaßen noch nie gehört hatte. Und ich bin mehr als angenehm überrascht. Er kann die Lücke, die Schulz hinterlassen hat, makellos auffüllen. Ich würde sogar behaupten, seine klare Stimme mit dem melodischen Timbre unterstützt die epischere, harmonische Ausrichtung der bombastischen Kompositionen. Die Songs scheinen für ihn zugeschnitten. Und diese Feststellung ist gar nicht so weit hergeholt, hat er sich bei „The Chronicles Of Love, Hate And Sorrow“ doch auch gleich noch als Hauptsongwriter etabliert. Er drückt den Stücken durch seine charismatische Stimme einen neuen Stempel auf. Die Refrains und die bezaubernden Choräle des Werkes gehören wohl mit zum Besten, das dieses Genre gesehen hat, und animieren unwillkürlich zum Mitsingen. Mir ist ein bisschen unverständlich, dass dieses Gesangstalent bislang noch nicht mehr in den Blickpunkt der Metal-Gemeinde getreten ist.
Natürlich darf man aber die Leistung der anderen Musiker nicht außer Acht lassen. Drums und Bass stellen wahrhaft ein unverwüstliches Fundament dar, auf dem „Ironfinger“ Axel Ritt seine handwerklichen Fähigkeiten zur Schau stellen kann. Noch immer leben die Songs natürlich auch von seinem unvergleichlichen Gitarrenspiel, den eingängigen Riffs und Leads und seinen virtuosen Soli. Aber auch das Keyboard trägt durch die pompöse Untermalung und die symphonischen Anreicherungen zum Gelingen des Albums bei. Für die Produktion zeichnet auch der Bandleader Axel Ritt verantwortlich, der der Scheibe einen ebenso kraftvollen wie transparenten Sound verpasst hat.
In Sachen Songwriting wird auf dem gesamten Werk ein durchgehend hohes Level gehalten. Kein Song flacht ab. Es fällt eher schwer, bei dem erstklassigen Material noch die Highlights herauszufischen. Diese offenbaren sich mir in dem symphonisch-vielschichtigen „Sweeping Scars“, dem melodisch-emotionalen „Angel Above“, in „Circle Of Give And Take“ mit den atemberaubenden Choralpassagen, dem wuchtigen „Inner Rage“ und dem verspielten Bonus-Track „Two Brothers & The Sinners Chess“. Doch letztendlich schenken sich die einzelnen Stücke nicht viel. Sie haben alle ihre Feinheiten und hinterlassen in den Köpfen der Hörer ihre speziellen Eindrücke.
DOMAIN waren schon immer ein garant für gutklassigen Melodic Metal. Mit „The Chronicles Of Love, Hate And Sorrow“ haben sie sich aber nicht nur noch ein Stück weiterentwickelt, sondern liefern wohl auch ihr kompositorisches Meisterstück ab. Ich kann das Album allen Anhängern des Melodic (Power) Metal und des Symphonic Metal nur wärmstens empfehlen.
Wertung: 9 / 10