Yusaf Parvez, einigen vielleicht besser unter seinem Pseudonym Vicotnik bekannt, scheint einen zweiten oder dritten musikalischen Frühling zu genießen. Nachdem er Mitte der Neunziger mit Dødheimsgard/DHG und Ved Buens Ende eine stilprägende Figur war, beeinflusste er in den 2000ern-Jahren auch maßgeblich den Sound von Code oder Strid mit seinen zahlreichen Talenten. Nachdem nun parallel DHG, Strid und sogar Ved Buens Ende wieder auf der Bühne in Erscheinung treten, möchte man meinen, der Mann sei ausgelastet. Das Gegenteil ist der Fall.
Stattdessen ist Vicotnik mit offenbar nicht versiegendem Eifer losgezogen und hat eine andere Legende des norwegischen Black Metals aus der Versenkung geholt: Haavard Jørgensen, der unter dem Künstler-Alias Lemarchand Satyricon mitbegründet hat und vor allem in den ersten fünf Jahren von Ulver unsterbliche Musik erschaffen hat. Nachdem der Mann fast 20 Jahre lang aus der Manege des Metalzirkus weitestgehend verschwunden war, ist er nun mit DOLD VORDE ENS NAVN zurück. Komplettiert wird das Quartett durch den so versierten wie umtriebigen Schlagzeuger Øyvind Myrvoll (DHG, Ved Buens Ende, Nidingr und ehemals die unlängst aufgelösten Aura Noir) sowie den ehemaligen DHG-Basser Cerberus. Da darf man gerne einmal die Augenbrauen heben und genauer hinhören.
Zugegeben, die Bandnamen waren früher irgendwie knackiger. Ansonsten setzen DOLD VORDE ENS NAVN exakt da an, wo norwegischer Black Metal vor dem Beginn des neuen Millenniums geendet hat. „Gjengangere I Hjertets Mørke“ (in etwa: „Geister im Dunkeln des Herzens“) ist aber kein Versuch, zu klingen als wäre man nochmal 18. Vielmehr ist diese 20-minütige Debüt-EP die reifere Interpretation eines Musik- und Lebensstils durch vier erfahrene Männer, die keinem mehr etwas beweisen müssen, in tadelloser Produktion, absolut auf der Höhe der Zeit.
Der Opener „Den Ensomme Død“ prescht dabei mit blackthrashigem Riffing nach vorne, als wäre es 1996 und DHG gerade dabei, ihre für „Monumental Possession“ nicht verwendeten Ideen zu sortieren. Schon auf dem Weg durch diesen Track öffnet sich das Songwriting in verschiedene Richtungen und lässt Raum für manchmal rotzige, manchmal klassisch norwegische, hier und da auch ruhigere und fast experimentelle Passagen, die vor allem durch Vicotniks ungeheuer abwechslungsreichen, manischen Gesang verbunden sind. Besonders in „Drukkenskapens Kirkegård“ und dem folgenden „Vitnesbyrd“ wird deutlich, wozu DOLD VORDE ENS NAVN in der Lage sind: Hier trifft eine Salve monströser Riffs auf erbarmungsloses Drumming und vielseitigen Gesang, wie er in dieser Intensität seinesgleichen sucht. Auch die rein norwegischen Texte tragen ihr Scherflein dazu bei, dass DOLD VORDE ENS NAVN einen Sound entwickeln, wie man ihn eben nur bei norwegischen Bands findet. Bedingungslose Brutalität, gregorianische Gesänge und trendige Tierschädel gibt es hier nicht – in Oslo regiert weiterhin eine leicht melancholische, etwas rückwärtsgewandte Düsternis.
Übrigens sind auch Haavards Künste an der Akustikgitarre (Kenner erinnern sich an die ersten drei Ulver-Alben …) ein Teil von DOLD VORDE ENS NAVN. Zwar ein kleiner (in dem das Album beschließenden, ein wenig zerfahrenen „Blodets Visken“), aber immerhin. Überhaupt erweckt diese EP den Eindruck, dass eine kreative und vielseitige Band sich für ihren weiteren Weg in einem ohnehin eher eng gesteckten Rahmen möglichst offen halten will. Bei Musikern mit derartigen Talenten ist das sicherlich nicht die schlechteste Idee.
Für den Moment ist „Gjengangere I Hjertets Mørke“ nicht nur ein Zungenbrecher, sondern auch ein fabelhaftes Debüt, das genau das liefert, was man von einer – der Begriff wirkt etwas deplatziert – „All-Star-Band“ erwarten kann: 20 Minuten, in denen mehr steckt als in ganzen Diskografien von Bands, die so unbedingt etwas Bedeutendes hätten erschaffen wollen.
Keine Wertung
Eine sehr gut geschriebene Review. Habe mich dadurch gleich mal in die EP reingehört und sie sogleich bestellt. Ohne diese Review wäre mir wohl ein kleines Meisterwerk entgangen. Danke dafür. :)