Als die Crew das erste Mal das wiederentdeckte Raumschiff „Event Horizon“ betritt, stockt ihnen der Atem: Denn das Schiff gleicht mehr einer fliegenden, gotischen Kathedrale, ein Art-Deco-Alptraum im Weltall, dessen dunkles Geheimnis sie alle ohne Unterlass in die hintersten Dimensionen der Hölle befördern wird. Denn die „Event Horizon“ war genau dort – in der Hölle. Dahin will sie unbedingt wieder zurückkehren. Und alle mitnehmen, die sich an Bord befinden.
Im Film (USA 1997) hat das Schiff keinen menschlichen Kapitän und braucht diesen auch gar nicht, aber hätte sie einen gehabt, dann wäre das ohne Zweifel Yusaf „Vicotnik“ Parvez, verbleibendes Gehirn der norwegischen Avantgarde-Marodeure Dødheimsgard, oder liebevoll DHG abgekürzt. Deren letztjähriger Spacetrip „Black Medium Current“ war für einige Redakteure des besten Online-Metalmagazins jenseits des Sternsystems Sirius das Album des Jahres; nun legt Parvez noch einige Warp mehr drauf.
Denn das neue Nebenprojekt DODSMAGHIRD, das Parvez beinahe in Eigenregie verantwortet, ist vielleicht nicht der hässliche Zwilling der kosmischen Schönheit „Black Medium Current“, sondern eher so etwas wie der entstellte vergessene Schwager, aber es fügt sich dennoch nahtlos in die verwinkelte Familiengeschichte. Ob jetzt DHG auf dem Cover steht oder eben DOEDSMAGHIRD, ist einerlei: Wenn das Label wirklich behauptet, DOEDSMAGHIRD seien eine freiere Interpretation und Rückkehr zu DHG-Zeiten um „Satanic Art“ und „666 International“ herum – wen kümmert es, wenn man zum Opener „Heart Of Hell“ prima tanzen kann? Eine verstörende Erfahrung. Doch mit den ersten Klängen ist man sofort wieder in dem Kosmos gefangen, den „Black Medium Current“ so unnachahmlich vertonte.
Natürlich sollten diejenigen, die die eher introspektiven Lavaströme des letztjährigen Überalbums schätzen gelernt haben, gewarnt sein: DHG/DOEDSMAGHIRD/Yusaf Parvez können und wollen Chaos und Wahnsinn – „A Umbra Omega“ liegt ja auch noch nicht lange zurück und sie hielten sich beim Quasi-Vorgänger nur nobel zurück, um die stilleren Areale des interstellaren Raums zu erforschen. Bei „Omniverse Consciousness“ hingegen warten Quantenverschränkungen aus der Hölle.
Wie darf man sich das akustisch vorstellen? Man darf sich vor allem vom Opener nicht in die Irre führen lassen. Denn gleich das nachfolgende „Sparker Inn Apne Dorer“ ist genau das: irre. Wir erinnern uns lebhaft an die coole Space-Bar, in der Teile von „Black Medium Current“ spielten und wo es smoothen Soulrock gab. Nun, heute Abend gibt es in dieser Location wüsten Freejazz. Leider hat sich der Drummer irgendein ominöses Pülverchen von Proxima Centauri reingezogen und prügelt jetzt wie wildgeworden und ohne Sinn und Verstand auf seine erbarmenswerten Instrumente ein, während der Rest der Band stoisch die Septakkorde zupft. Ganz nüchtern scheinen wir allerdings auch nicht mehr zu sein, denn sonore Halluzinationen machen sich breit: Überall brummt und quackert und wabbelt irgendetwas. Ein besoffenes Gespenst schwebt „Huhuuuuhuu“-singend vorbei. Moment mal, hat da gerade jemand miaut?
Dann plötzlich fällt der gesamte Jazzclub in sich zusammen und wir sind zurück auf der „Event Horizon“. Der Mittelteil, der einer Kathedrale gleicht und zielgerichtet in die Hölle führt; Notre-Dame während des Brandes – aber mit etherischem Chor im Hintergrund („Death Of Time“). Wir knien nieder vor dem gigantischen Chaos Space Marine, der die Kommunion austeilt. Da springt urplötzlich ein Hofnarr aus dem Dunkel und zieht die Szene ins Groteske – zum Glück wartet ein Interlude, um die völlige Überforderung mit Eindrücken einigermaßen verträglich zu machen.
„Dort wo wir hingehen, brauchen wir keine Augen mehr!“, schleudert der von seinem Schiff längst besessene Dr. Weir (Sam Neill) den Übriggebliebenen entgegen, die entsetzt in die leeren Höhlen in seinem Schädel starren. Das wäre schade, denn das Cover-Artwork des Albums ist wunderschön in seiner Stahlstichoptik und hat sogar ein fröhliches Bambi vorne drauf – ein Bambi allerdings, das wohl nach einem Nuklearkrieg geboren wurde. Manch einer wird sich angesichts des akustischen Schwarzsonnensturms auf „Omniverse Consciousness“ zusätzlich noch die Ohren abreißen wollen. War „Black Medium Current“ in all seiner faszinierenden Vielschichtigkeit untergründig und zurückhaltend, so ist „Omniverse Consciousness“ ein freier Fall durch das Wurmloch, eine Auflösung der Newton’schen Physik in musikalischer Form und so ziemlich das Letzte, was man an einem Migräne-Tag hören will. „Omniverse Consciousness“ klingt, als hätte Schrödingers Katze gleichzeitig Durchfall und die Rolligkeit – und das ist ein Kompliment!
Wertung: 8 / 10