Zeit vergeht. Das hat sie so an sich, mag jetzt der eine oder andere sagen, aber manchmal ist es doch schon eine etwas traurige Sache, wenn man sich anschaut, wie sie vergeht. Denn wenn Zeit vergeht, dann verändern sich auch Dinge. Und Menschen. Und Bands. Und mit Bands auch deren Musik. Teilweise im Allgemeinen, teilweise auch eher im Speziellen. Alteigesessenen Fans ist das sehr oft ein Dorn im Auge, wenn eine spezielle Band ihren Sound verändert. Egal was man tut, man kann’s nie allen Recht machen. Aber auch die Musik im Allgemeinen verändert sich. Vor zehn Jahren noch waren Children of Bodom zum Beispiel ein ziemliches Kuriosum, es gab beinahe nichts Vergleichbares zu ihrem vom Power Metal beeinflussten Melodeath. Heutzutage schießen Klone an jeder Ecke aus dem Boden.
Aber hin und wieder tauchen im modernen Musikgeschäft noch Phänomene auf. Eins davon ist eine Band namens DISARMONIA MUNDI, die Anno 1999 gegründet wurde und mittlerweile einen Vertrag bei ihren Landsmännern, dem italienischen Label Coroner Records unterschrieben hat. Und hier kommt das zweite Phänomen ins Spiel, das Debutalbum der Band mit dem Namen „Nebularium“. Das hat schon einige Jahre auf dem Buckel, wurde 1999 aufgenommen und erblickte 2002 das Licht der Welt. Und anlässlich ihres neuen Plattenvertrages brachten die Jungs aus Avigliana die von Kritikern frenetisch abgefeierte Scheibe über eben dieses Label erneut raus, remastered, in einem schicken Digipack und mit einer Bonus-CD namens „The Restless Memoirs EP“, einer Sammlung von sechs Songs, die zwischen 1999 und 2006 entstanden.
Ich habe jetzt so viel von Phänomenen erzählt, aber was meine ich denn eigentlich damit? Nun, das eine Phänomen ist wie gesagt das Debutalbum von DISARMONIA MUNDI. „Nebularium“ ist jetzt schon einige Jahre alt, zwar neu durch die Post-Production-Maschinerie gedreht, aber das allein kann ja keine gute CD machen, dazu gehört noch einiges mehr. Einiges, was die CD locker vorweisen kann. Mühelos sprengen die Italiener hier Genregrenzen und bieten 44 Minuten Musik, die nicht nur technisch sondern auch emotional auf allerhöchstem Niveau sind. Und auch nach beinahe zehn Jahren klingt die Scheibe frisch, unverbraucht, ganz einfach unkopiert. Ein kleines Wunder, wenn man sich die zum Teil relativ ideenlose aktuelle Musiklandschaft anschaut, dass noch niemand diesen Meilenstein kopiert hat.
Ja, auf „Nebularium“ stimmt so gut wie alles. Das Songwriting ist schon grandios, geniale Riffs, viel Abwechslung, hinreißende Progressivität, die aber nie (oder sagen wir mal selten) zum Selbstzweck verkommt, sondern sich völlig selbstlos hinter den Emotionen der Musik und ihrer Wirkung anstellt. DISARMONIA MUNDI bieten mehrere Hände voll Melodien für die Ewigkeit, dazu ordentlich bratende Gitarrenwände, die (möglicherweise dem Remastering wegen, ich hab die alte Version der CD nicht gehört) in eine schön fette, druckvolle Produktion gesteckt wurden, und abgerundet wird der Spaß von wundervollen Gesangsleistungen des Duos Chinto (die extremeren Lagen) und Rigotti (der Klargesang). Das Teil wird einfach nicht langweilig, bleibt „ever-evolving“, wie der Engländer so schön sagt, hier wiederholt sich fast nichts. Ganz selten passiert es mal, dass die Knaben das Große Ganze etwas aus den Augen verlieren und sich etwas zu sehr der Gunst des Augenblicks hingeben (der Mittelteil von „Guilty Claims“ driftet zum Beispiel etwas sehr ab), aber das lässt sich verschmerzen. Kurzum: Ein Wunder, dass man knappe zehn Jahre nach der Erstveröffentlichung noch so was entdecken und derart davon begeistert sein kann.
Und dann kommt da Phänomen Nummero zwei um die Ecke und das ist die „The Restless Memoirs EP“. Ich war schon etwas verwundert, als ich laß, dass Björn „Speed“ Strid irgendwann einstieg und die Band – wenn man den Kritikern glauben darf – kurzerhand in ein zweites Soilwork verwandelte, aber dieses Manifest zeigt eindrucksvoll, dass dem doch so ist. Oder vielleicht doch nicht. Kompliziert, aber ich elaboriere. Denn die sechs Tracks hierauf klingen so dermaßen uninspiriert, so völlig austauschbar nach In Flames, Soilwork und Kollegen, dass man sich nur an den Kopf packen kann. Und das faszinierende: Strid hat hiermit gar nichts zu tun, das ist alles auf Rigottis Mist gewachsen. Noch erschreckender, denn das 1999 geschriebene „Flare“ (also im gleichen Jahr wie die ganze „Nebularium“-CD) ist so durch und durch mittelmäßig, dass man gar nicht glauben mag, dass es aus der selben Schaffensperiode wie die Glanztaten der Haupt-CD stammt. Die „The Restless Memoirs EP“ ist relativ schmerzfrei konsumierbarer Melodeath, tut keinem weh, macht aber auch nichts besonders gut und im Antlitz der genialen „Nebularium“ ist sie geradezu so etwas wie ein Armutszeugnis. Das ist Phänomen Nummer zwei: Wie hat so eine geniale Band es nur geschafft, alles was sie gut machte in so kurzer Zeit in die Tonne zu treten? Man weiß es nicht…
Was ich aber durchaus weiß ist, dass der Re-Release des DISARMONIA MUNDI-Debuts eine coole Sache ist. „Nebularium“ ist ein Meisterwerk, ein unglaublich fettes Melo/Prog-Death-Brett, das viel Laune macht und so frisch und unverbraucht klingt, dass ich es am Liebsten knutschen würde. Die „The Restless Memoires EP“ ist mehr ein Kuriosum oder etwas für Fans der neueren Alben der Italiener oder allgemein dem Sound neuerer In Flames oder Soilwork. Kann man mal hören, wenn sich da was außer dem tollen Rausschmeißer „Ghost Song“ nach wenigen Durchgängen festsetzt ist’s aber ein Wunder. Die schicke Aufmachung rundet das Paket ab, die allererste Veröffentlichung des jungen Labels Coroner Records rockt gewaltig.
Wertung: 9 / 10