Es scheint, als drehe sich die Welt immer schneller. Krieg, Zerstörung, Egoismus, Fanatismus, Leid und Trauer – sie sind allgegenwärtig und werden doch verdrängt, gehen unter in einem Meer aus Leuchtreklame, Konsum und fadenscheiniger TV-Idylle. In kargen Betonlandschaften verliert sich das Individuum, kappt zunächst die Beziehung zu sich selbst und entfremdet sich schließlich auch von seinen Mitmenschen. In letzter Konsequenz bleiben dem Individuum nur zwei Wege: Der der emotionalen Abstumpfung oder der des Verzweifelns. Ein orwell’sches Endzeitszenario, das laut DIARY OF DREAMS längst Realität geworden ist. „‘Grau im Licht‘ ist ein Statement gegen den ansteckenden Wahnsinn und für Mitgefühl und Güte“, ist im Promo-Text des neuen Albums der Gruppe zu lesen.
Ist „Grau im Licht“ also ein gesellschaftskritisches Album geworden? Sicherlich. Dennoch: Wer punkige Polit-Parolen sucht, ist bei DIARY OF DREAMS nach wie vor an der falschen Adresse. Die Band erhebt nicht den moralischen Zeigefinger, singt nicht von Flüchtlingskrise, Arbeitslosigkeit und Abgas-Skandalen. Vielmehr beschreitet sie einen Mittelweg zwischen Sozialkritik und gothischem Szene-Eskapismus, bewegt sich auf der Gefühlsebene des Einzelnen, der sich in einer zunehmend komplexen Welt kaum noch zurechtfindet.
Musikalisch bietet das Traumtagebuch einmal mehr alten Wein in neuen Schläuchen dar. Etwas härter als zuletzt geht die Gruppe diesmal zu Werke. Letztendlich bleibt es aber bei der gewohnten Mischung aus melancholischem Synthie-Pop, der nicht selten in Richtung Depeche Mode schielt, und dezenten Einflüssen aus dem Genre des metallisch angehauchten Gitarren-Rocks. Ist aber nicht weiter schlimm: Wo DIARY OF DREAMS draufsteht, ist eben auch DIARY OF DREAMS drin.
Die Songs als solche bewegen sich irgendwo zwischen solide und großartig. Der brachial-stampfende Opener „Sinferno“, der eher Industrial-Metal ist als bloßer Darkwave, und das getragen-balladeske „Ikarus“ markieren die beiden musikalischen Pole, zwischen denen sich die Songs auf „Grau im Licht“ bewegen. Sie gehören gleichzeitig zu den Highlights der Platte. Überhaupt fällt die erste Hälfte des Albums weitaus überzeugender aus als die zweite. „Endless Nights“ appelliert durch seinen simplen Beat in erster Linie ans Tanzbein, macht seine Sache aber außerordentlich gut, zumal auch die allgegenwärtige Melancholie nicht zu kurz kommt. „Krank“ und „Die My Phobia“ ziehen durch ihre wehklagenden Synths in tiefe Abgründe. Der Titelsong lockert die beklemmende Atmosphäre wieder etwas und geht trotz unheiliger Anleihen mit seinem Text über Trauer und Abschied ans Herz.
Danach schleicht sich leider ab und an ein wenig Monotonie ins Songwriting ein. Angesichts der Thematik könnte das zwar durchaus so gewollt sein, verfehlt aber oft den Zweck, den Hörer bei der Stange zu halten. Gerade „The Hunted“ und „mitGift“ könnte man durchaus als dröge bezeichnen.
Hätte man „Grau im Licht“ also um zwei, drei Füller gekürzt, würde hier ein echtes Meisterwerk vorliegen. So allerdings bleibt „nur“ ein sehr gutes, wenn auch etwas vorhersehbares Album und ein willkommener Soundtrack für graue Herbsttage.
Wertung: 7.5 / 10