DEPECHE MODE sind ein Phänomen, welches man entweder nachvollziehen kann oder das einen ungläubig zurücklässt. Entweder zählt man sich zu den Gahan-und-Co.-Jüngern oder den Mach-das-aus-Sagern. Über die vielen Dekaden, seit denen DEPECHE MODE aktiv sind, entwickelten sich zwei Lager, bei denen der minimale Konsens wohl die Einigkeit über den gelungenen Gassenhauer „Personal Jesus“ darstellt.
Beschäftigt man sich allerdings mit dem umfangreichen Backkatalog der Band, fällt einem eines schnell auf: Diskontinuität. Denn nur schwer lassen sich die Alben als eine Steigerung begreifen, an deren Ende nun die neue Platte stehen soll. Vielmehr stellen DEPECHE MODE mal mehr, mal weniger ein Abbild der Befindlichkeit der Band dar, die entweder düster von Gahans Drogeneskapaden geprägt ist („Ultra“, 1997) oder vor Leidenschaft und Liebe nur so überquillt („Exciter“, 2001). Mag der Eine stets radiotaugliche Düdelei ohne emotionale Aussagekraft hören, versteht der Andere die Kompositionen als die künstlerische Umsetzung dessen, was Haupt-Songwriter Gore in seiner doch recht trübsinnigen Welt beschäftigt.
Apropos düster: Wer auf der neuen Platte „Spirit“ die hitverdächtigen, poppigen Melodien eines „Sounds Of The Universe“ (2009) sucht oder Ausschau hält nach den verträumt-atmosphärischen Geniestreichen eines „Exciter“, wird enttäuscht. Wie auch bei dem Vorgänger „Delta Machine“ (2013) ziehen sich DEPECHE MODE auf „Spirit“ in Gefilde zurück, denen Wohlbehagen größtenteils fremd sind und die von einer beunruhigenden Eingängigkeit dominiert werden. Mag der Opener „Going Backwards“ noch mit einem catchy theme frohlocken, wird er mit „So Much Love“ zugleich den einzigen unique selling point in puncto Tanzbarkeit auf diesem Album darstellen. Ob das schlimm ist? Nur für denjenigen, der den Stadien füllenden Klassikern aus den 80er Jahren hinterher trauert, denn ein Album wie „Music For The Masses“ werden DEPECHE MODE de facto nicht mehr veröffentlichen. Und zwar deswegen, weil das Trio diesen Punkt hinter sich gelassen hat und nicht mehr in die Nähe dieser Klasse gelangen wird.
Einer Klasse, zwischen deren Blüte und dem Status Quo der Band drei Dekaden liegen; 30 Jahre, in denen sich Haupt-Ideengeber Gore fort von soften Synthie-Pop mit Mitsing-Garantie bewegte und zunehmend schwermütiger, verschrobener, besonders jedoch elektronischer wurde. Auf „Spirit“ sind die Tracks „Scum“ und „You Move“ nur ein allzu deutlicher Beweis dafür, dass DEPECHE MODE heutzutage mehr ernstzunehmende Electronica als soften Synthie bedienen. Die anfänglich erwähnte Diskontinuität-These greift mit Blick auf „Delta Machine“ und „Spirit“ zwar noch immer, da die aktuelle Platte nicht die Steigerung der letzten ist, allerdings beschritt das letzte Album einen Weg, der auf dem aktuellen noch klarer erkennbar wird – gut möglich, dass DEPECHE MODE im Alter vorhersehbarer werden.
Apropos vorhersehbar: Auch auf dem 14. Studioalbum zeigt sich das Manko der Band, welches auf den vorherigen Alben schon zu oft merklich hervortrat; es betrifft die Wahl des primären Sängers der Briten. Der facettenreichere Sänger ist der schlechtere Entertainer, der bessere Entertainer ist der (mittlerweile leider) weniger variable Sänger. Ein Gore verdeutlichte nur zu oft (auch auf seinen Soloalben, besonders „Counterfeit²“, 2003), welche stimmliche Varianz und Zerbrechlichkeit ihm innewohnt. Aber dem stillen Wasser gelingt es nicht diese Faszination aufzubauen, die das Publikum für den Blickfang Gahan aufbringt. Während der eine oftmals die Töne hält („Where’s The Revolution“, „The Worst Crime“), verziert der andere diese spielerisch leicht („Eternal“, „Fail“). Schade, dass Gahan nicht mehr in die Form eines „Shine“ oder „When The Body Speaks“ (beide „Exciter“) kommt. Toll hingegen ist, dass Gore mit „Where’s The Revolution“ ohne Umschweife politisch wird und auch „Going Backwards“ sozialkritisch ist – eine Tradition, die mit „People Are People“ und „Blasphemous Rumours“ (beide „Some Great Reward“, 1984) sogar Hits generierte, lebt auch noch anno 2017 fort, benötigter denn je.
Das Fazit ist ernüchternd: Gahan-und-Co.-Jünger werden dieses Album vorbestellt haben, noch ehe die ersten Reviews dazu getippt sind und Mach-das-aus-Sager werden einen weiten Bogen um „Spirit“ machen. Im Kontext ihrer bisherigen Veröffentlichungen betrachtet, legen DEPECHE MODE nach „Black Celebration“ (1986) und „Ultra“ mit ihrer 14. Platte ein durch und durch elegisches Album vor, welches lyrisch bedrückend, kompositorisch nicht leicht zugänglich ist, den Hörer aber dennoch packt und in eine Klanglandschaft entführt, der man trotz ihres fehlendes Frohsinns nicht mehr so schnell entfliehen mag. Den Gahan-und-Co.-Jüngern sei zu empfehlen, sich den zwölf Tracks mit etwas Zeit und gespitzten Ohren zu nähern, denn „Spirit“ wächst von Durchlauf zu Durchlauf – Gores unbändiger Kreativität sei Dank!
Wertung: 8 / 10