Es ist kaum zu leugnen, dass sich DEE SNIDER im Metal eine gewisse Gatekeeper-Funktion anmaßt: Spätestens auf deren Abschiedstournee verging kein Konzert seiner Ex-Band Twisted Sister, bei dem er sich nicht zu minutenlangen, nachgerade Manowar-haften Tiraden hinreißen ließ, wie die New Yorker aufgrund der Dauerhaftigkeit ihrer Besetzung den Standard für die Szene setzen. Wollte man kontern, man könnte argumentieren, dass das auch das Einzige ist, was Twisted Sister 40 Jahre nach Gründung noch auszeichnete, zumal die Band 1987 aufgehört hat, neue Alben zu veröffentlichen und nur ihre ersten drei Platten wirklich erwähnenswert sind. Somit hat sich der Mann weit mehr als die meisten seiner Mitstreiter seit dem ersten Split auf lange zurückliegenden Glanztaten ausgeruht. Ebenfalls nicht zu leugnen ist allerdings die eherne Integrität des DEE SNIDER: Der inzwischen 65-Jährige hält Stimme und Körper mehr als altersgemäß fit, er las einem australischen Politiker über die widerrechtliche Nutzung des größten Bandhits öffentlich die Leviten und bisher hielten Twisted Sister im Hinblick auf das endgültige Bandende eisern Wort. Entsprechend widmet sich Mr. Snider seither unbeirrbar seiner Solo-Karriere und brachte zuletzt vor zwei Jahren ein neues Album heraus. Mit dem meint er es offenbar so ernst, dass er es kurz darauf mit auf Tour nahm, weshalb mit „For The Love Of Metal Live“ nun das passende Live-Album vorliegt.
Warum diese ausufernde Exkursion in die Vita des DEE SNIDER, wenn es hier doch um ein Live-Album geht? Weil der Umstand, dass der blonde Sänger gerne Wasser predigt und zumindest Weinschorle trinkt, bei der Beurteilung dieses Packages durchaus zu bedenken ist, vor allem im Hinblick auf die Setlist: Die umfasst mit 14 Songs eine für jedes Live-Konzert angemessene Menge an Musik, von der sieben Nummern und damit die Hälfte aus dem Repertoire von Twisted Sister stammen – übrigens alle von den ersten drei Alben. Bedenkt man, dass sich mit „Highway To Hell“ auch noch ein AC/DC-Cover findet, bleiben nur sechs Nummern für das eigentliche Soloprogramm übrig. Und die kommen ausnahmslos von der letzten Platte. Klar, der Titel lautet „For The Love Of Metal Live“ und da ist ebenso logisch, dass besagte Platte im Fokus steht wie die Tatsache, dass das entmetallisierte „We Are The Ones“ oder „Dee Does Broadway“ kaum das richtige Material für diese Live-Platte liefern konnten. Allerdings gibt es ja noch das grandiose Snider-Soloalbum „Never Let The Bastards Wear You Down“ von 2000 sowie zwei echt starke Widowmaker-Platten aus den 90ern, aus den man hätte wählen können. Das alles mag Jammern auf hohem Niveau sein, denn alle hier gebotenen Songs sind richtig gut, aber es bleibt ein fader Beigeschmack. DEE SNIDER spielt bei der Wahl des Songmaterials – wieder einmal – auf Nummer sicher.
Wo die Songauswahl zu wünschen übrig lässt, gleicht es die Performance wieder aus: DEE SNIDER bringt eine vergleichsweise junge, angriffslustige Band mit, die abgesehen von Bassist Russel Pzutto auch schon auf seinem letzten Studioalbum zu hören war. Entsprechend wissen die Herren das Material besagter Platte angemessen rüberzubringen, aber auch die Twisted-Sister-Klassiker machen dank der muskulösen, modernen Interpretation von „For The Love Of Metal Live“ großen Spaß. Und DEE SNIDER selbst? Der blonde Hühne war und ist eine stimmliche Urgewalt. Kaum ein anderer Sänger seines Alters bringt noch derart kraftvollen Gesang zustande, der sowohl bei neuen Nummern wie „I Am The Hurricane“ als auch Klassikern wie „Under The Blade“ oder „You Can’t Stop Rock ’n‘ Roll“ pures Selbstbewusstsein ausstrahlt und sofort mitreißt. Rein im Hinblick auf seinen musikalischen Inhalt kann „For The Love Of Metal Live“ also (mit Punktabzug für die konservative Setlist) voll überzeugen.
Doch auch hier bleibt ein nicht unerheblicher Wermutstropfen: Auf CD mag „For The Love Of Metal Live“ noch gut funktionieren – zwar handelt es sich bei diesem Live-Mitschnitt offenkundig um reine Mischpultabnahmen, weshalb der Sound zwar fett und roh, aber wenig „live“ und damit recht steril ausfällt. Aber zumindest ist das Publikum zwischen den Nummern so gut zu hören, dass ein Mindestmaß an Atmosphäre aufkommt. Der DVD- bzw. Blu-ray-Part hingegen enttäuscht. „For The Love Of Metal Live“ bietet leider kein volles Konzert, sondern einzelne Titel von verschiedenen Konzertabenden der entsprechenden Tour. Das ist schon bei reinen Live-CDs schade, bei einer DVD allerdings nicht weniger als ein grobes Foul, insbesondere wenn so wie hier geschnitten. Das Material wurde zwar schlüssig, aber doch so krude zusammengeschustert, dass hier während einer Performance mehrfach die Tageszeit wechselt (Nachmittags auf dem „Bloodstock“, abends irgendwo anders) und der Gitarrist in manchen Soli abhängig von der Einstellung drei verschiedene Instrumente hält. Zusammen mit der klinischen Audiospur wirkt der visuelle Teil von „For The Love Of Metal Live“ so eher wie ein ausgedehntes Musikvideo denn wie ein authentischer Live-Mitschnitt. Das wird minimal aufgewogen, weil die Konzertausschnitte mit Interviewsegmenten verknüpft wurden, was mit viel Wohlwollen aus einer missglückten, weil mitnichten atmosphärischen Live-DVD einen „Konzertfilm“ macht. Diese Gesprächsfetzen sind dabei durchaus sympathisch, gleichzeitig aber wenig aufregend, weil Mr. Snider auch in den eingangs erwähnten Monologen schon alles über sein Leben erzählt hat.
DEE SNIDER ist vielleicht kein Rob Halford, den Status als Metal-(Halb)gott hat er sich aber redlich verdient. Umso bedauerlicher ist es, dass „For The Love Of Metal Live“ bei all seinen Vorzügen am Ende wie ein halbgarer Schnellschuss wirkt. Während die recht typische Songauswahl nicht anders zu erwarten war und damit noch verschmerzbar ist, kann schon die CD aufgrund des sterilen Klangbildes nur bedingt überzeugen und die DVD ist schlicht eine herbe Enttäuschung. Wo der Titel auf schweißgetränkten Bühnenwahnsinn hoffen lässt, sorgen unnötig zerpflückter Schnitt und klinischer Sound rasch für Ernüchterung. DEE SNIDER ist ein begnadeter Sänger und Musiker und seine jüngsten Studioumtriebe zeigen mehr als deutlich, dass dem Mann der Metal nach wie vor aus jeder Pore trieft. Mit einer Veröffentlichung wie dieser tut er sich daher kaum einen Gefallen, denn sie ist in vielerlei Hinsicht weder authentisch noch integer – Attribute, die auf Herrn Snider sehr wohl zutreffen und die ihm offensichtlich wichtig sind.
Wertung: 5 / 10