Wenn man die Menge an unterirdisch schlechten Veröffentlichungen heutzutage mal betrachtet, wird es umso unverständlicher, warum hochklassige Scheiben in der Vergangenheit regelmäßig ignoriert worden sind und immer noch werden. Großartige Bands, die einfach vergessen wurden und sich vermutlich leicht frustriert irgendwann aufgelöst haben. Ein perfektes Beispiel dafür ist die symphonische Gothic-Kapelle DAWN OF DREAMS (nicht zu verwechseln mit den gleichnamigen Melodic Deathern) aus Österreich, die mit „Fragments“ seinerzeit ein emotional mitreißendes Werk ablieferten, dann aber einfach in der Versenkung verschwanden.
Dabei würde eine Anschaffung auch aus heutiger Sicht noch absolut Sinn machen, schließlich begeisterte das Trio mit seiner zweiten Platte kurz vor der Jahrtausendwende diejenigen, die sich auf die Suche nach echten Perlen gemacht hatten. Zugegebenermaßen sind die zehn Songs nicht die eingängigste Ware, die mir jemals untergekommen ist. „Schuld“ daran sind weniger verzwickte Melodieführungen, sondern eher etwas sperrige Songstrukturen, die sich bei Längen, die sich auch mal deutlich jenseits der fünf Minuten bewegen, quasi von selbst ergeben. Aber wenn man sich ein wenig auf DAWN OF DREAMS einlässt, kann man viel für sich entdecken. Zum Beispiel eine für die Spielart erstaunlich versierte Instrumentenarbeit, sind Gitarrensoli im Gothic Metal doch nicht unbedingt die oberste Bürgerpflicht. Sehr schön sind die häufigen Klavierparts, die in ihrer hoffnungsstrebenden Verlorenheit ein wenig an In The Woods… zu „Omnio“-Zeiten erinnern.
Für Abwechslung sorgt man ebenso beim Gesang: Da ist zwischen Klargesang, der erstaunlich gut die Töne trifft, und tiefem Grunzen alles dabei, was man sich auf einer düsteren Platte wünscht, was auch auf die Ausrichtung im Bereich Geschwindigkeit zutrifft. Natürlich wird hier nicht in Highspeed-Tempo attackiert, aber der eine oder andere Song hat schon entsprechenden „Drive“ und man ertappt sich, wie man den Rhythmus wahlweise mitwippt oder auf dem Tisch ein wenig Mini-Schlagzeug spielt.
Auch wenn die Songs durch die Bank eine hohe Qualität aufweisen (einzig „The Serpent“ fällt etwas ab), möchte ich doch ein Lied herausgreifen, weil es in seiner Gesamtheit schon eine kleine Besonderheit darstellt. „IV“ benutzt ein ausgiebiges Sample des wunderbar emotionalen Leitthemas von Peter Tschaikowskys „Schwanensee“. Dieses wird durch DAWN OF DREAMS im Verlauf noch etwas weiter entwickelt und darum herum ein großartiger Song gestrickt. Denn: Die liebliche Melodie des russischen Romantikers wird nicht etwa für eine reine Ballade genutzt, sondern die ganze Palette der zur Verfügung stehenden Stimmungen findet Einzug in „IV“ und macht es damit zu dem positiven Ausreißer auf „Fragments“.
Ja, es ist wirklich tragisch, dass eine Band wie DAWN OF DREAMS die verdienten Lorbeeren nie ernten konnte. Daran wird auch der Aufruf, sich zumindest nach „Fragments“ auf Wühltischen bei Festivals oder im Backkatalog diverser Mailorder umzusehen, kaum etwas ändern. Bereuen sollte es kein Freund düster-emotionaler Musik, die nicht nur rasch heruntergekurbelt wurde, sondern mit Sinn und Verstand daherkommt. Augen auf und zuschlagen, wenn sich die Möglichkeit ergibt!
Wertung: 9 / 10