Review Das Kammerspiel – Wege

Mit „Wege“ veröffentlicht das kleine Label Lost Souls Graveyard im selben Atemzug mit „Dämmerung“ (Fluoryne) gleich noch ein zweites deutsches Avantgarde-Langeisen – für diesen Release ist Labelinhaber Dirk Rehfus sogar höchstselbst verantwortlich, handelt es sich bei DAS KAMMERSPIEL doch um das Soloprojekt des Musikers, der vielen wohl schon von den Grabnebelfürsten und Allvaters Zorn bekannt sein dürfte. Und wie bei „Dämmerung“ ist auch „Wege“ ein Beweis dafür, dass es noch Menschen mit Ambitionen und einem Ziel vor Augen gibt.

Nach einem in meinen Augen eigentlich überflüssigen, da in keinerlei Zusammenhang mit dem folgenden, ersten Stück stehenden Synthesizer-Intro beginnt „Wege“ gleich mit dem ersten von insgesamt drei Quasi-Zehnminütern – von Intro und einem kurzen Meeresrauschen („Und selbst das Meer“) abgesehen unterschreitet nämlich lediglich ein Stück die neun Minuten. Hätten andere Künstler den Hörer vielleicht mit einer endlos scheinenden Spielzeit erschlagen, übt sich Rehfus in diesem Punkt (aber auch nur in diesem) in Zurückhaltung: Mit nicht einmal 40 Minuten fällt „Wege“ so angenehm kompakt aus – dabei kompensieren sich der extrem hohe Anspruch an den Konsumenten und die beanspruchte Zeit gegenseitig: DAS KAMMERSPIEL fordert nicht viel Zeit, erhebt dafür jedoch den Anspruch, in dieser Zeit die volle Aufmerksamkeit zu erhalten – ein fairer Deal.
Die volle Aufmerksamkeit bedarf es auch für ein Werk wie dieses… vielschichtiger als „Wege“ kann ein Album, welches irgendwo noch den Anspruch erhebt, Metal zu sein, wohl kaum ausfallen: Beginnt „Sekundenschlaf“ noch mit einem flotten-Black Metal-Riff, dazu genretypischem Gesang, beginnen die beiden Stücke nach der Meeresrauschen-Zäsur dagegen unmissverständlich elektronisch – dazwischen finden sich diverse Ausflüge in nahezu jede Richtung: Schnelle Riffs, doomende Parts, Synthesizer-Klänge, Swing-Passagen (!), ruhige Cleanteile und extravagante Harmonien… alles elegant verwoben mit typischen Black Metal-Elementen, die sich vor allem am genretypischen Gesang festmachen lassen – wer nun jedoch denkt, auf „Wege“ würde lediglich zu avantgardistischer Musik herumgeschrien, täuscht sich gewaltig, ist der Gesang doch fast noch eine Stufe extravaganter als der Rest des Werkes:
Das – im Übrigen äußerst gelungene – „Geschrei“ wechselt sich nämlich mit diversen anderen Gesangs-Stilen ab, die von „normalem“ Klargesang bis hin zu opernhaftem Erzählgesang reichen und dabei stets nicht nur gewollt, sondern ebenso gekonnt klingen.

Sicherlich, „Wege“ macht es einem nicht gleich ganz einfach – zwar finden sich auf dem Album diverse eingängige Passagen, die gleich im Ohr bleiben, doch im Großen und Ganzen ist „Wege“ kein Album, das man nach einem Durchlauf auch nur ansatzweise erfasst hat. Viel eher entsteht aus dem zunächst vielleicht etwas konfus und unkonventionell scheinenden Stilmix erst nach diversen Durchgängen ein halbwegs greifbares Gesamtbild.
Zu urteilen, ob darin nun die große Stärke oder eine Schwäche liegt, bleibt am Ende allein dem Hörer überlassen, und so war eine Wertung wohl selten subjektiver als diese – denn dass ein Album, das wie „Wege“ so uneingeschränkt und kompromisslos dem persönlichen Geschmack des Künstlers folgt, keine Konsensmusik sein kann, bedarf wohl keiner weiteren Erwähnung.

Wertung: 9.5 / 10

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