Review Dark Tranquillity – Atoma

„Time is a flat circle. Everything we’ve ever done, or will do, we’re gonna do over and over and over again.” – Dieser Ausspruch stammt von Rustin Cohle aus der grandiosen Serie „True Detective”, der damit Nietzsches Idee der Ewigen Wiederkunft aufgriff. Betrachtet man das Gesamtwerk der Göteborger Melodic-Death-Metal-Pioniere DARK TRANQUILLITY, könnte man meinen, dass sie sich diese Idee über die Jahre zum Bandmotto gemacht haben müssen, denn auch in ihrer inzwischen elf Alben starken Diskographie finden sich einige auffällige Wiederholungen wieder.

Nachdem sie 1995 mit „The Gallery“ eines der Vorzeigewerke des Melodic Death Metal veröffentlicht hatten, versuchten sie mit „The Mind’s I“ dessen Genialität zu kopieren. Natürlich sollte es zwangsläufig in der Rezeption hinter diesem Essenzwerk zurückbleiben. Ein radikaler Stilwechsel musste also her. Der kam sodann mit dem noch etwas unsicheren, experimentellen „Projector“. Über die folgenden Jahre veränderten und verbesserten sie ihren Sound stetig mit einem großartigen Album nach dem anderen, bis sie 2007 mit „Fiction“ ihr Opus magnum veröffentlichten. Erneut folgte mit „We Are The Void“ ein Versuch, dessen Konzept zu großen Teilen zu imitieren, aber auch dieser wurde (zu Unrecht!) von einigen Fans und Kritikern merklich weniger wohlwollend angenommen und wieder war die Folge ein stilistischer Umbruch mit „Construct“.

Nun ist aufgrund dieser Geschichte zu erwarten, dass sein Nachfolger „Atoma“, ähnlich wie „Haven“ als Folgewerk von „Projector“ damals, den Sound aufgreift, weiterentwickelt und verbessert. Doch leider führen DARK TRANQUILLITY diesen Kreislauf nicht ganz wie erwartet weiter, denn auf „Atoma“ wiederholen sie ein paar der Fehler, die sich auf „Construct“ bereits abzeichneten. Zunächst muss jedoch klar gesagt werden, dass auch „Atoma“ es problemlos schafft, den Sound der Band geschickt auf die nächste Ebene zu hieven. Nie zuvor klang die Musik der Schweden auf derart kompromisslose Art und Weise düster und bedrückend. In vielen Stücken der Platte ergründet die Truppe in geradezu unheimlichen Tiefen Gefühle wie Ängste und Zweifel. Das Konstrukt, das zuletzt erschaffen wurde, wird nun wieder auseinandergenommen, in seine Kleinstteile, seine Atome, zerlegt und neu angeordnet. Dabei kreieren sie viele extrem spannende Momente und geradezu schaurig-schöne Melodien, die vor allem durch abgefahrene Harmoniekonzepte stärker als je zuvor beeindrucken können. Auch Sänger Mikael Stannes auf „Atoma“ viel verwendeter Clean-Gesang präsentiert sich auf einem nie zuvor erreichten Qualitätslevel und verleiht den Songs häufig eine tragische Komponente. Dass DARK TRANQUILLITY vor allem an diesen musikalischen Aspekten Interesse haben, zeichnete sich schon in den letzten Jahren ab.

Wie bereits angedeutet, macht „Atoma“ dennoch nicht alles richtig. Bereits auf „Construct“ wurden die Ausflüge in progressivere, dunklere Gefilde mit betont simplen, bekömmlichen und dadurch leider wenig spannenden Parts überkompensiert statt sie konsequent durchzuziehen, was dort schon eher mäßig gut funktionierte. Auf „Atoma“ erzeugt dieser Versuch aufgrund der größeren stilistischen Distanz zwischen teilweise im Sekundentakt wechselnden abgründigen, mystisch anmutenden Abschnitten und deren geradezu übertrieben aufbauenden, hoffnungsvollen Auflösungen bisweilen eine äußerst befremdliche Wirkung. DARK TRANQUILLITY zerren den Hörer somit immer wieder aus seinem gerade schön aufgebauten Unbehagen und packen ihn für ein paar Sekunden in eine warme Kuscheldecke, bevor sie ihn wieder ins kalte Wasser werfen. Dass sich vor allem in der zweiten Hälfte Songs wie „Our Proof Of Life“ oder „Merciless Fate“ als etwas zugschwach erweisen, kommt der Platte auch nicht zugute. Diese Songwriting-Probleme sind sicherlich nicht zuletzt dem Weggang eines der Hauptsongwriter der Band, Martin Henriksson, geschuldet, der bereits an „Construct“ kaum noch mitgewirkt hat und nun vor „Atoma“ ausgestiegen ist.

Dennoch finden sich dem gegenüber eben auch eine Vielzahl wirklich gelungener Songs und Momente auf dem Album, wie beispielsweise die brachialen, fies-düsteren Nummern „Encircled“ und „Neutrality“, das mit einem Ohrwurmrefrain gesegnete „Force Of Hand“ oder das eingängige, mitreißende „The Pitiless“. Aufgrund ihrer kompositorischen Komplexität wachsen die meisten Songs zudem mit jedem weiteren Durchgang und sollten problemlos für jeden Fan düsteren, etwas verschwurbelten und kreativen Melodic Death Metals genießbar sein.

Mit „Atoma“ liefern DARK TRANQUILLITY zwar nicht gerade ihr bestes Album ab, punkten aber dennoch mit hochambitioniertem Songwriting und erstaunlicher Vielschichtigkeit. Dass sogar ein Album, das im eigenen Schaffenswerk zu den schwächeren Werken gezählt werden muss, noch immer einen Großteil der Alben anderer Melodic-Death-Metal-Bands im Schlaf in die Tasche steckt und ihnen in Sachen innovative Weiterentwicklung um Jahre voraus ist, spricht für sich. Und mal ehrlich: Angesichts einer nahezu makellosen Diskographie über 23 Jahre hinweg, kann man über zwei ausnahmsweise mal nicht überwältigende, sondern „nur“ ziemlich gute Alben in Folge problemlos hinwegsehen.

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Wertung: 8 / 10

Publiziert am von Simon Bodesheim

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