Dark At Dawn sehen sich seit je her mit Besetzungswechseln an den Gitarrenposten konfrontiert und nach dem Ausstieg von Florian Schröder und Matthias Majkowski im Jahre 2001 schienen diese Ämter endgültig vakant zu sein. Doch das konnte die übrigen drei Gründungsmitglieder nicht aus der Bahn werfen und so spielte Schlagzeuger Torsten Sauerbrey auf dem folgenden Output „First Beams Of Light“, neben seinen hauptamtlichen Drum-Parts, alle Gitarren- und Keyboardspuren selbst ein. Das Album enthält jedoch lediglich Re-Recordings von älteren Demostücken und somit stellt sich nun die Frage, ob das Trio trotz der personellen Einschränkungen in der Lage war, auch ihr neues Material mit Bravour zu vertonen. Die Antwort sollte das aktuellste Werk „Of Decay And Desire“ bringen, welches man wieder im MetalSound-Studio in Osterode aufnahm. Die Produktion bietet wahrlich eine hervorragende Grundlage für die ausgiebige Entfaltung des charakteristischen Stils von Dark At Dawn. Alle Instrumente sind vorbildlich aufeinander abgestimmt, der Sound ist druckvoll, lebendig und dennoch leicht erdig. Nach dem Besuch bei Produzent Andy Classen, welcher die 12 Kompositionen abmischte, begab sich die Band noch in die Finnvox Studios, um das Langeisen von Mika Jussila mastern zu lassen. Es ist also nicht abzustreiten, dass hier sehr viel Wert auf ein professionelles und vor allem prägnantes Soundgewand gelegt wurde.
Der Vorhang öffnet sich im gehobenen Midtempo und enttarnt mit „The Sleepwalker“ einen Opener nach Maß: Die fabelhafte, mehrstimmige Leitmelodie beschert der straighten Songstruktur sehr viel Eingängigkeit. Der Refrain setzt sich ebenso schnell im Kopfe des Hörers fest und ist zudem stark rifforientiert. „End Of Ice – The Warriorqueen“ beginnt sehr verspielt mit kleinen drumtechnischen Raffinessen und wieder mal glanzvollen Leads. Der Song ist treibend bis an die Schmerzgrenze und pflegt diese Art der Intensität über seine gesamte Spielzeit hinweg. „Luna“ – ein geradezu unscheinbarer Titel, welcher für eine hochkarätige Halbballade erster Güteklasse steht. Das Stück weiß anfangs durch leise melodisches Gitarrenspiel sowie ruhigen, warmen Gesang eine wunderbar melancholische Grundstimmung aufzubauen. Langsam steigert sich der Song und nach fünfunddreißig Sekunden tragen wehklagende Leadgitarren den faszinierten Hörer gänzlich davon. Das Drumming ist stampfend und beatlastig, sporadische Double-Bass-Einschübe verbreiten ein tolles Feeling und sorgen für noch mehr Punch. Der Abschnitt weicht schließlich dem traumhaften Chorus und eine gigantische Welle leidvoller Emotionen droht den Hörer zu erschlagen. Unglaublich, welch kraftvolles Stimmorgan Thorsten „Buddy“ Kohlrausch doch besitzt! Gänsehaut pur, die von Anissa Taggatz’ dezenten, weiblichen Vocals noch verstärkt wird. Der Pathos nimmt gegen Ende des Songs gewaltige Ausmaße an, jedoch wirkt er dabei keineswegs überzogen oder gar kitschig. Ein großartiges Stück Musik mit unbeschreiblich hohem Dauerbrennerpotenzial und absolut ehrlichem Geist.
„Forever“ besitzt ebenfalls eine großzügige Dosis wahrhaftigen Spirit und massenweise Power, was insbesondere für den simplen, überaus einprägsamen Chorus gilt. Des Weiteren wäre das grazile Keyboard hervorzuheben, welches klanglich nur schwer von einer Violine zu unterscheiden ist und dessen Einsatz dem Track schon fast eine gewisse Eleganz verleiht. Und dennoch haben Dark At Dawn ihr Pulver noch längst nicht verschossen, wie der nachfolgende Übersong „The 5th Horseman“ erhobenen Hauptes beweist. Der Double-Bass macht dem Titel alle Ehre und reitet in galoppierendem Rhythmus voran, wobei das Riffing ähnlich programmtechnischen Mustern nachgeht. Mehrstimmige Leads vollziehen eine melodiöse Balz in sündhafter Manier; hymnische Tragweite, mitreißende Ausdrucksstärke und künstlerische Leidenschaft sind allgegenwärtig – die Band scheint akustisch zu ejakulieren. Diese Komposition festigt vollen Herzens die Liebe zum metallischen Genre, ohne in irgendeiner Form klischeebehaftet zu sein. Auch die restlichen Nummern haben einen sehr hohen Standard und bestechen nicht nur dadurch, dass ihr Charakter und ihre Struktur sämtliche für das Album symptomatische Elemente prägnant vereint, sondern sie offenbaren vereinzelt sogar ein paar neue Ideen und Einflüsse. Hier kommt mir in erster Linie der pompöse Anfang von „Weltenbrand“ oder das zutiefst romantische „The Rose Of Tears“ in den Sinn. Letztendlich fügen sich jedoch alle Tracks der Grundperspektive des Albums, was ich für durchaus wichtig halte.
Dark At Dawn klingen auf dieser Platte in der Tat ausgereifter und koordinierter als je zuvor. Die Band ist sich selbst abermals treu geblieben und schreitet nach wie vor auf sehr eigenständigen Pfaden. Dieser Faktor spielt – genauso wie ihr feines Gespür für stimmige Arrangements – zweifellos eine große Rolle, wenn man sich den bisher zwar nicht immer unproblematischen, jedoch äußerst erfolgreichen Werdegang der niedersächsischen Formation zu erklären versucht. Demnach dürfte „Of Decay And Desire“ die Ausnahmeposition des Trios noch weiter fördern.
(Daniel H.)
Wertung: 8.5 / 10