CUSTARD lassen sich mit ihren Alben ziemlich viel Zeit. Zwischen „For My King“ und „Wheels Of Time“ waren es bereits fünf Jahre. Und der neueste Streich „Forces Remain“ nahm auch schon wieder drei Jährchen in Anspruch. Man muss den Hernern aber zugute halten, dass sich in dieser Zeit das Besetzungskarussell drehte und sich das Line-Up komplett veränderte. Von der „Wheels Of Time“-Crew ist Chris Klapper der einzige Überlebende. Eigentlich war der Bandleader nach einigen massiven Fehlschlägen bei der Umstrukturierung schon so weit, das Projekt ad acta zu legen, dann traf er schließlich doch noch auf die richtigen Leute. So darf man gespannt sein, wie sich die Besetzungswechsel auf CUSTARDs Stil, den Sound und das Songwriting ausgewirkt haben.
Ein Power-Metal-Album muss mich von Anfang an fesseln, sonst hat es in meiner Einschätzung einen schweren Stand. CUSTARD machen bei „Forces Remain“ in der Hinsicht alles richtig, denn schon das mystisch-symphonische Intro „Ancient Views“ erweckt meine Neugier und eine gewisse Erwartungshaltung. Und beim Opener „Dragonslayer“ geht es dann in die Vollen. Mit straight marschierendem Rhythmus und sich steigernder Dynamik steuert der Song zielgenau auf den eingängigen Höhepunkt zu, der die Hörer sofort zu begeistern weiß. Je nach Gesinnung darf man hier mitgröhlen, mitwippen oder gleich die Mähne kreisen lassen.
Das genaue Gegenteil, einen kraftvoll groovenden Stampfer, präsentiert man mit „Creature“. Mit einem schön herausgestellten Refrain, erinnert mich der in Sachen Tempo eher verhaltene Song an PRIEST-Kompositionen der Spätachtziger.
Im Grunde sind damit die beiden Hauptmerkmale von „Forces Remain“ genannt. Flotte Power-Metal-, ja sogar fast Speed-Metal-verdächtige Kompositionen, wechseln sich mit fetten Groovern im Mid-Tempo ab. Doch eines haben beide Seiten gleich: hervorragend erarbeitete Höhepunkte, die schön majestätisch über den Stücken thronen.
Weitere herausragende Power-Metal-Songs sind „Heaven Strikes“ mit seinen symphonisch-virtuosen Instrumentalarrangements oder das gnadenlos vorwärts treibende „For The Cross“.
Bei den Mid-Tempo-Stampfern fallen noch das lange „Poke The Flames“, auf das sogar IRON MAIDEN neidisch sein dürften, und das tiefgründige und variantenreiche „Angel Of Sorrow“ besonders ins Gewicht.
Der absolut stärkste Song ist aber „Warcraft“. In seiner Machart erinnert er an einen Klon aus MAIDEN-Stampfer und BLIND GUARDIAN-Fetzer, überzeugt aber gerade durch diese interessante Mixtur aus schleppenden Mid-Tempo-Passagen und äußerst druckvollen Abschnitten mit doppelläufigen Gitarrenleads. Den hymnischen Refrain „…In This World Of Warcraft…“ singt selbstverständlich jeder bereits nach dem ersten Hören mit. Der Song bezieht sich übrigens wirklich auf das bekannte Online-Adventure, ermahnt aber vor allen Dingen auch, dass man diese virtuellen Welten nicht zu ernst nehmen sollte.
Etwas zu viel Schmalz wird meiner Meinung nach bei der Ballade „Kind Of Peace“ zerbraten, aber Sänger Oliver Strasser beweist hier, wie lange er hohe Töne halten kann, ohne dass sie nervig werden.
CUSTARD liefern mit „Forces Remain“ den Beweis ab, dass sich Veränderungen im Line-Up durchaus positiv auf die Entwicklung einer Band auswirken können. Die fünf Ruhrpottler liefern nicht nur an ihrem Arbeitsgerät eine außerordentlich professionelle Leistung ab, sondern zeichnen sich auch durch vielseitiges Songwriting auf höchstem Niveau aus. Abgesehen von der Ballade gibt es keinen schwachen Song und selbst da ist es Ansichtssache. Ich hatte eigentlich ein 08/15-Power-Metal-Werk erwartet, wie sie zur Zeit massenhaft auf den Markt drängen, wurde aber ganz klar eines Besseren belehrt.
Ich hoffe, dass CUSTARD mit „Forces Remain“ nicht in der Masse der Veröffentlichungen untergehen. Das Werk hat zweifelsohne sehr viel Beachtung verdient und bietet jedem Anhänger des Power Metal und des klassischen Heavy Metal eine Menge interessantes Material. Von mir gibt es eine einwandfreie Empfehlung.
Wertung: 9 / 10