Mindestens so losgelöst wie die Häuserwand und die Stühle auf dem zugehörigen Albumcover agieren COHEED AND CAMBRIA auf ihrem achten Studioalbum „The Color Before The Sun“. Ein ganz und gar künstlerisches und wunderbar anzusehendes Artwork, wie ich finde. Losgelöst haben sich die New Yorker von ihrem progressiven Stil fast komplett. Das wirkt über viele Strecken äußerst erschreckend, hinterlässt aber auch einige schöne Momente.
Der Opener „Island“ schwingt zu Beginn mit aufgeblasener Stadionrock-Attitüde und einem klebrig-süssen Glamrock-Refrain ordentlich und weitausholend die 80er-Jahre-Keule. Gleich nochmal die CD und das Digisleeve überprüfen: Doch, das sind schon COHEED AND CAMBRIA die da aus den Boxen kommen. Und im Jahr 2015 befinden wir uns auch immer noch. Eine spontane Zeitreise ist schon mal ausgeschlossen, als der Song in gängigen nordamerikanischen Alternative Rock abdriftet. In diesem Stil wird dann auch größtenteils weiter verfahren. Mal machen die vier Musiker eine Halbballade daraus („Colors“), bedienen sich an angeproggten Wave-Strukturen (da wären auch wieder die 80er-Jahre), präsentieren klassischen Powerpop („You Got Spirit, Kid“) oder kleiden ihre Musik in ein komplett akustisches Gewand („Ghost“). Ein Klavier ist ebenfalls phasenweise zu vernehmen. Die progressiven Strukturen vergangener Tage blitzen in einigen Songoutros und am Ende der Platte („The Audience“) auf. Insgesamt sind die US-Amerikaner geerdet wie noch nie, haben sich von den in vergangenen Jahren präsenten Kosmos-Themen verabschiedet und liefern alltägliche Themen wie Vaterschaft und viele artverwandte emotionsbehaftete Themen.
Langweilig sind COHEED AND CAMBRIA im Jahr 2015 nicht, aber „The Color Before The Sun“ ist sehr überraschend ausgefallen. Man hat viele der prägnanten Stilmittel über Bord geworfen und bewegt sich musikalisch zwischen 1980 und Anfang der 2000er. Bei aller Klasse des Songmaterials und der Produktion bleibt aber leider unter dem Strich ein ernüchterndes Werk geradlinigen Alternative Rocks. Das Release ist in Ordnung, die alten COHEED AND CAMBRIA waren aber deutlich intensiver und spannender.
Wertung: 6.5 / 10