August 1969: knapp 400.000 Menschen versammeln sich auf Weidefeldern in White Lake im US-Bundesstaat New York, um drei Tage lang die Musik und den Frieden zu feiern. Künstler wie The Who, Janis Choplin, Jimi Hendrix oder Jefferson Airplane spielen legendäre Auftritte und die Hippie-Bewegung erreicht mit diesem Festival in Woodstock ihren Höhepunkt. Zu dieser Zeit noch gar nicht geboren, ja noch nicht einmal in Planung, waren die sechs Musiker von CHILDREN OF THE SÜN und doch klingen die Schweden so, als könnten sie problemlos auch Teil des damaligen Line-ups gewesen sein. Nach ihrem viel gelobten Debüt „Flowers“ erscheint dieser Tage das Zweitwerk „Roots“ und ist erneut Hippie-Rock in Reinform, vor dem selbst Genre-Größen wie Blues Pills, The Vintage Caravan oder Kadavar den Hut ziehen müssen.
Die Bandmitglieder mögen zu Beginn der Karrieren der drei genannten Vorzeige-Retro-Kapellen kaum alt genug gewesen sein, um die Shows ohne Begleitung der Eltern besuchen zu können, doch dessen ungeachtet strotzen die Kompositionen auf „Roots“ nur so vor Kraft, Spielfreude und grandios gutem Songwriting. CHILDREN OF THE SÜN schaffen den perfekten Spagat zwischen Heldenverehrung und einer großen Portion frischem, eigenem Sound, sodass Album Nummer zwei zu keiner Zeit zu einer bloßen Cover-Platte verkommt. Stattdessen nehmen die Schweden die Hörer mit auf einen emotionalen Trip durch all das, was den Rock-Sound der 60er und 70er ausmacht: mal tief betrübt und melancholisch („In Silva“), mal psychedelisch und high („Reaching For The Sun“), mal kraftvoll rockend und lärmend („Gaslighting“). Was die Musiker auf „Roots“ abliefern, ist schlicht und einfach ganz großes Kino. Allein die Gitarrenarbeit von Jacob Hellenrud sorgt für Begeisterung, hat doch der Mann mindestens so viel Blues im Blut wie Dorian Sorriaux (Ex-Blues Pills) oder Scott Holiday (Rival Sons).
Wie so häufig bei wirklich guten Retro-Bands ist es aber die gesangliche Leistung der Frontfrau bzw. in diesem Fall der Frontfrauen, die CHILDREN OF THE SÜN endgültig aus dem Einheitsbrei heraushebt: Lead-Sängerin Josefina Berglund Ekholm glänzt mit sehr variablem und kraftvollem Gesang, der stellenweise an Elin Larsson (Blues Pills) oder tatsächlich Janis Choplin erinnert. Die Background-Sängerinnen Ottilia Berglund Ekholm und Wilma Ås (auch Keyboards) stehen dem in nichts nach und machen Songs wie „Leaves“ oder das mitreißende, gospel-artige „The Soul“ mit ihrem mehrstimmigen Gesang zu Highlights der Scheibe. Gerade in diesen mehrstimmigen Momenten drängen sich Vergleiche mit Abba auf, was in diesem Falle nur positiv gemeint ist.
Mit „Roots“ liefern CHILDREN OF THE SÜN nicht einfach nur ein weiteres Retro-Rock-Album ab, sondern setzen neue Genre-Maßstäbe. Jedes Retro-Album, das in diesem Jahr das Licht der Welt erblickt, muss sich an „Roots“ messen lassen, denn eine so zwingende, so gelungene Interpretation der Rock-Ursuppe hat es schon lange nicht mehr gegeben. Kaum fünf Jahre am Start, schicken sich die Schweden bereits an, die Oberliga des Rock kräftig aufzumischen. Zum Schluss bleibt nur ein Appell an deutsche Booker: Holt diese Band nach Deutschland!
Wertung: 9 / 10