Review Carpe Noctem – Schattensaiten

Von der Straße in die große, weite Welt – diesen Schritte wollen die Jenaer String-Metaller CARPE NOCTEM mit ihrem neuen Werk „Schattensaiten“ und einem eigenen Label wagen. Die Mixtur aus klassischer Virtuosität und rockiger Härte bedient sich aus allerlei Schubladen und lebt trotzdem von ihrer Eigenständigkeit, die nicht im Schatten von Apocalyptica oder anderen Combos zu suchen ist.

Die Kombination aus Streichern auf der einen und Schlagzeug/Bass minus E-Gitarren auf der anderen Seite weckt auf dem Papier schnell Assoziationen. Glücklicherweise fegt der klassisch ausgebildete Fünfer diese – im wahrsten Sinne des Wortes – spielend beiseite (oder beisaite?). Wie bereits das Cover bzw. das gesamte Artwork nahelegt, ist „Schattensaiten“ geprägt von emotionalen Kontrasten, zwischen hell und dunkel, schnell und langsam oder auch laut und leise. CARPE NOCTEM suchen und finden den Zugang weniger über brachiale Härte als über gekonnte Melodik und einen inviduellen Kompositionsaufbau. Punktet beispielsweise der Opener „Conviction“ im härteren Segment, so ist es bei „Maskerade“ und „Requiem“ der klassische Aspekt, der überzeugt. Die vielen Jahre Erfahrung auf der Straße kommen den fünf Musikern dabei hörbar zu Gute, denn alle 12 Songs weisen in sich und als Gesamtes einen erkennbaren Spannungsbogen auf, der den Hörer permanent bei der Stange hält. So fällt es schwer, individuelle Highlights auf „Schattensaiten“ zu benennen und die Musik nebenbei zu genießen. Das ist am Ende aber mehr ein Qualitätsmerkmal als ein Makel.

Für „Das Gift der Spinne“ holten sich CARPE NOCTEM mit Coppelius-Diener Bastille prominente Unterstützung ans Mikro, der diese Nummern so vertont, dass sie an die früheren Letzte Instanz-Werke erinnert. Deutlich aktuellere Parallelen offenbaren die String-Metaller mit dem System-of-a-Down-Cover „Toxicity“, bravourös gesungen von Graf Lindorf, einem weiteren Gast der Kammercore-Musiker Coppelius. In den Fahrwassern der Berliner konnte das Quintett erste Erfahrungen auf größeren Rockbühnen sammeln. Musikalisch bewegen sich die Newcomer zwischen eingängig-verspielt wie in „Blick über die Klippen“ und tiefgängig-emotional wie im Abschluss „Penthesilea“. Selbst bei einem vom Titel her plump anmutenden „Tavernenspiel“ beweisen CARPE NOCTEM auf „Schattensaiten“ ihren Hang zur emotionalen Tiefe anstatt oberflächlicher Gute-Laune-Unterhaltung.

Kompositorisch erreichen CARPE NOCTEM auf ihrem dritten Album bereits die höchsten Sphären ihrer Musikrichtung. Die 12 Lieder entführen den Hörer, packen ihn und nehmen ihn mit auf eine anspruchsvolle Reise im „Rock meets Classic“. Vielleicht der Geheimtipp des Jahres – besonders für all diejenigen, die (größtenteils) auf Gesang und (komplett) auf E-Gitarren verzichten können sowie einen Hang zur klassischen Musik besitzen.

 

Wertung: 9 / 10

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