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Review Candy – It’s Inside You

Hardcore ist für gemeinhin für ungezügelte Energie und eine (nennen wir es mal) organische musikalische Umsetzung und weniger für technoide Elektronik und maschinelle Drums bekannt. Dass Letzteres erstaunlich gut in Kombination mit punkiger Räudigkeit funktioniert, beweisen die US-Amerikaner CANDY eindrucksvoll mit ihrem neuen Longplayer. Und „It’s Inside You“ macht nicht nur richtig Laune, sondern klingt dabei auch noch erstaunlich einzigartig.

Wer jetzt also kompakte Drei-Minuten-Klopper im Stil von Sick Of It All oder Hatebreed erwartet, wird bereits in den ersten 60 Sekunden des neuen CANDY-Albums eines Besseren belehrt: Fette Gitarren und Drums gibt es, ja, zusätzlich auch den hardcoretypischen Schreigesang, allerdings bietet „eXistenZ“ (aufgrund der Schreibweise sicherlich eine Hommage an den gleichnamigen, durchaus als verstörend zu bezeichnenden David-Cronenberg-Film) in regelmäßigen Abständen Breaks mit massiv verfremdeten Drum-’n’-Bass-Loops – was unmittelbar Reminiszenzen an die ersten beiden Slipknot-Alben weckt.

Aber auch die nächsten Tracks werden zum trip down memory lane: „Short-Circuit“ wartet mit einem extrem groovigen Outro auf (Machine Heads „Davidian“ lässt grüßen), während „You Will Never Get Me“ (mit Justice Tripp von Trapped Under Ice am Mikrofon) und der Titeltrack „It’s Inside you“ (mit David Gagliardi von Trash Talk an der Klampfe) im besten Sinne an Static X bzw. Ministry erinnern – nur eben in der Hardcore-Version. Mit der (nur auf den ersten Eindruck untypischen) Vorabsingle „Love Like Snow“ haben CANDY noch einen echten Synth-Pop-Ohrwurm an Bord – allerdings ebenfalls in der Hardcore-Version.

Das Ganze wurde von Produzent Ben Greenberg (seines Zeichens Gitarrist der New Yorker Industrial-Hardcore-Band Uniform) und Tontechniker Kurt Ballou (auch Saitenhexer von Converge) mit einem dermaßen fetten Sound versehen, dass einem die Ohren schlackern. Allein die überkomprimierte Double-Bass-Passage in „Dehumanize Me“ walzt einfach alles nieder, was nicht bei Drei außerhalb der Reichweite der Tieftöner ist. Der massive und offensive Einsatz von Glitch-, Stotter- und Filtereffekten (gerade in Verbindung mit den bereits erwähnten elektronischen Elementen) unterstützen die ausgesprochen moderne und zeitgemäße Produktion, die aber auch eine gute Portion Schmutz nicht missen lässt. Abwechslungsreich, oftmals überraschend und auf Albumlänge ziemlich spannend, was CANDY hier bieten.

Apropos Albumlänge: „It’s Inside You“ ist mit zwölf Songs auf knapp 31 Minuten recht kurz, aber dafür auch kurzweilig. Genretypisch unterschreiten viele Songs sogar die Zwei-Minuten-Grenze: „Terror Managment“ (Länge 1:29) ist eine beinahe klassische Grindcore-Nummer ohne viel (elektronischen) Schnickschnack, während das im Ansatz vergleichbare „Silent Collapse“ (Länge 1:30) eher klassische Hardcore-Fans ansprechen dürfte. Letztere werden dafür spätestens beim darauffolgenden Song „Dancing To The Infinite Beat“ verschreckt, handelt es sich bei dem Track doch um eine sehr elektronische Nummer mit latenter Deichkind-Attitüde (in der Hardcore-Version) und hippen kontrapunktierenden 8-Bit-Nintendo-Synthie-Sounds.

Mit „It’s Inside You“ haben CANDY auf jeden Fall ein recht schräges, aber auch unvergleichliches Album abgeliefert, das aufgrund seines beinahe technoiden Charakters in Verbindung mit der durchaus omnipräsenten Hardcore-Attitüde live ziemlich knallen dürfte. Latente Vergleiche mit The Prodigy in diesem Zusammenhang sind rein zufällig und nicht beabsichtigt, steht bei den Briten doch die Elektronik merklich im Vordergrund, während das amerikanische Quartett sich doch eher wie eine „klassische“ Band präsentiert. Purist:innen werden möglicherweise von den extremen und sehr präsenten elektronischen Elementen abgeschreckt. Wer aber ein offenes Ohr hat, sollte selbiges durchaus riskieren, denn das Album ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie sich Genres weiterentwickeln können, ohne ihre Essenz zu verlieren.

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Wertung: 9 / 10

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