Das Leben steckt voller Zufälle, denn wie wäre es sonst zu erklären, dass man als Metalfreund auf diesen unscheinbaren Soundtrack stößt? Manchmal, so wie in diesem Falle, sind sie dann von dem Quäntchen Glück geprägt, welches das angesprochene Leben um ein kleines Detail bereichert. Der Film „Les Choristes“ („Die Kinder des Monsieur Mathieu“) lockte kurz nach der Jahrtausendwende acht Millionen Franzosen in die heimischen Kinos und verzauberte dort nicht nur mit einer anrührenden und glaubhaften Geschichte, sondern vor allem mit großartiger Musik.
Ein arbeitsloser Musiklehrer bekommt eine neue Anstellung in einem Internat für Jungen aus schwierigen Verhältnissen mit einem ebensolchen Charakter – nimmt man an, doch tatsächlich steckt in den meisten Burschen ein weicher Kern, den Monsieur Mathieu mit einem Chorprojekt offen legt. Heutzutage nichts Ungewöhnliches, spielt der Film aber kurz nach dem zweiten Weltkrieg, als noch andere Umstände („Aktion“ -> „Reaktion“) herrschten. Soweit kurz zum Inhalt des Filmes, welcher für das Verständnis der Filmmusik nicht unwichtig ist, schließlich handelt es sich bei den Stücken entweder um kurze Instrumentalpassagen oder um Gesänge des Chores „Les Petits Chanteurs de Saint-Marc“, in welchem im Gegensatz zum Film auch Mädchen mitsingen und entsprechend auf dem Soundtrack zu hören sind. Mitglieder dieses Chores bilden das Rückgrat des Filmes, als schauspielerische Laien, aber musikalische Künstler hauchen sie den Bildern ein unglaublich intensives Leben ein, welches durch die Musik noch an Farben und Facetten gewinnt.
Wenn sonst E-Gitarren braten und Blast-Beats durch die Lande prügeln, mag das auf den ersten Eindruck etwas ungewöhnlich klingen, tatsächlich handelt es sich aber um ein hohes Niveau an vokalischem Ausdruck. Filmkomponist BRUNO COULAIS schafft dabei scheinbar mühelos, zu Herzen gehende Melodien aus dem Ärmel zu schütteln, die durch die sehr zarten Jungenstimmen eine teilweise fast schmerzhafte Intensität erreichen. Dabei zeigt sich, dass Französische einfach die perfekte „Singsprache“ ist. Klingt es gesprochen schon oft recht melodisch, kommen diese Vorzüge hier voll zum Tragen. Zwar legt man sich lyrisch derartig ins Zeug, dass es selbst dem Hardcore-Goten die Schamesröte ins Gesicht treiben mag, aber dies fällt eigentlich nur bei der entsprechenden Übersetzung auf. Als Beispiel könnte man einige Zeilen aus dem Highlight von Film und CD, „Caresse Sur L´Océan“, zitieren: Dreh dich zum Wind, breite deine Flügel aus, in der grauen Dämmerung des Sonnenaufgangs. Klingt auf französisch gleich mal anders: Vire au vent tournoie déploie tes ailes, dans l’aube grise du levant.
Ein paar schüchterne Tränen darf man schon vergießen bei einem derart zauberhaften Stück Musik, die Stimmen des Chores sind großartig, richtig phantastisch agiert Solist Jean-Baptiste Maunier, im Film ein durchaus aufsässiger Bursche. Wie er aber in den Liedern jeden Ton, und sei er noch so hoch, exakt trifft und dabei eine Sanftmütigkeit in seine Stimme zu legen vermag, ist eine Antithese par excellence, sehr zur Freude von Zuschauer und Zuhörer.
Jedoch nicht nur der Gesang repräsentiert die beinahe romantische (wenn auch auf eine andere Art und Weise) Stimmung des Filmes perfekt, auch die musikalische Untermalung ist ausgesprochen gut gelungen: Die Hauptthemen werden immer – wie in Soundtracks üblich – wieder in einem neuen Kontext aufbereitet und erzielen so immer neue Stimmungen. Mal werden sie vom Klavier gespielt, dann übernimmt (sehr schön) eine Oboe die Melodieführung und so schafft COULAIS es, auf 40 Minuten sehr abwechslungsreich zu bleiben, obwohl sich einige Parts mehrfach wiederholen. Auch Tempovariationen finden einen Platz im Gesamtwerk, so klingen die Instrumentalstücke „Pépinot“ und „La Désillusion“ gänzlich anders als das angesprochene „Caresse Sur L`Oceán“, obwohl alle drei auf der gleichen Grundmelodie basieren.
Ein Wort noch zu „La Nuit“, welches die ganze Genialität des Soundtracks dadurch offen legt, dass es nicht von BRUNO COULAIS, sondern vom Barock-Komponisten Jean-Phillipe Rameau stammt. Bloß fällt dieser Umstand gar nicht auf, nahtlos fügt es sich in das Gesamtkonzept, als wenn es extra für den Film geschrieben worden wäre.
Ein wirklich anderes Erleben von Musik ist der Soundtrack zu „Die Kinder des Monsieur Mathieu“, selbst mit anderen gängigen Filmmusiken kaum zu vergleichen aufgrund der rein jugendlichen Sänger. Natürlich liegt der Gedanke an Kirchenmusik nicht so fern, der barocke Klang von „La Nuit“ und das insgesamt choralhafte Auftreten, aber das macht die Sache höchstens noch runder. So klingt es einfach anders und einfach schön. Musik, die verzaubert, die zum Träumen einlädt und sogar das Selbststudium der französischen Sprache anzufachen vermag. Am besten schaut man sich natürlich auch den Film an, etwas Kultur schadet nicht und die Wirkung der Musik ist mit dem Bild natürlich noch einmal eine ganz andere. Absolut empfehlenswert!
Wertung: 9 / 10