Als Fan von BLUT AUS NORD kann man sich nicht beklagen. Nicht nur, dass Mastermind Vindsval seine Hörerschaft selten länger als zwei Jahre auf ein neues Album warten lässt, auch veröffentlicht der Franzose außerhalb von BLUT AUS NORD noch Musik (Yeruselem, Forhist). Wer das Projekt seit dem Debüt „Ultima Thulée“ (1994) verfolgt, begleitet Vindsvals Schaffen bereits seit 28 Jahren und bekam in dieser Zeit 13 hervorragende bis mäßige Alben von ihm geboten, entweder im eiskalten Industrial-Gewand oder in Form von epischen Atmospheric Black Metal. BLUT AUS NORD steht somit in vielerlei Hinsicht nicht für Langweile, auch nicht für den Rezensenten, der sich mit jeder neuen Scheibe von deren Inhalt und Güte überraschen lassen muss.
Mit „Disharmonium – Undreamable Abysses“ legt das französische Trio nun den Nachfolger vom guten „Hallucinogen“ (2019) vor, welches einem als gelungene Verschmelzung der „Memoria Vetusta“-Reihe und den bitterbösen Industrial-Alben der frühen 2000er Jahre in Erinnerung geblieben sein dürfte. „Disharmonium – Undreamable Abysses“ setzt allerdings nicht an diesem Punkt an, sondern gibt stattdessen einen Eindruck, wie sich BLUT AUS NORD in unkoordiniert anhören.
Das Wechselspiel von eingängiger Melodik und walzender Härte ist der Selling Point von jeder Platte der Franzosen. Mal überwiegt das eine, mal das andere. Mal gelingt es ihnen, mit den immer gleichen Zutaten ein unterhaltsames Album zu komponieren, mal klingen sie nach einer schwächeren Kopie von sich selbst. Die 14. Platte macht hiervon keine Ausnahme, allerdings scheinen BLUT AUS NORD nun die schwächste Kopie als Vorlage für „Disharmonium – Undreamable Abysses“ genommen zu haben. Erweckt der atmosphärische und doch durchweg treibende Opener „Chants Of The Deep Ones“ noch den Eindruck, dass man einen weiteren „777“-Ableger hört, beginnt die Abwärtsspirale dieser Platte bereits mit dem zweiten Track „Tales Of The Old Dreamer“.
Die ohne Unterlass klöppelnde Doubebass wirkt völlig deplatziert zu dem schleppenden Songverlauf, beides findet nicht zusammen. „Into The Woods“ hat dieses Problem in ähnlicher Form, denn der Song krankt an einem struktur- und belanglosen Duett von Schlagzeuger W.D. Feld und Gitarrist Vindsval; der Track mag als Ergebnis einer ersten Jam-Session einer sich noch findenden Band akzeptabel sein, für ein etabliertes Projekt wie BLUT AUS NORD aber nicht. Beim vorletzten Song „Keziah Mason“ schleicht sich glücklicherweise eine kleine Überraschung ein, denn bei diesem getragenen, mehr an Funeral Doom als an Black Metal erinnernden Track ergibt das Spiel aller Involvierten ein in sich schlüssiges Lied. Immerhin eines von sieben.
Man sollte einer Band, die seit gut drei Dekaden Musik schreibt, einen Ausrutscher zugestehen. „Disharmonium – Undreamable Abysses“ ist eben jener. Die einzelnen Songelemente darauf finden selten zusammen, wurden scheinbar wahllos aneinander gepfriemelt und die Tracks als solches klingen zerklüftet, fahrig und nicht wie das Ergebnis einer wohlüberlegten Komposition. Natürlich ist der Grat zwischen mutigem Avantgarde und verhunztem Experiment schmal, aber auch mit einem wohlwollenden Blick liefern BLUT AUS NORD in den wenigsten Minuten etwas ab, was in die Nähe von guter, experimentierfreudiger Musik kommt. Das ist nicht nur sehr bedauerlich für die Erwartungshaltung als Fan, sondern auch für die Chance, die das Lovecraftsche Universum mit all seinen mystischen und unheimlichen Elementen für eine Band wie BLUT AUS NORD hätte bieten können. Denn Obacht, wer Lovecraft anhand des Artworks erwartet, wird ebenso enttäuscht werden wie der Fan, der sich ein gutes Album erhofft.
Wertung: 5 / 10