Wenn man Musikgenres mit Büchern vergleichen würde, dann wären Powermetal-Bands wohl sicher Autoren von epischen Fantasy-Stories, Black-Metal-Alben dagegen wären schlafraubende Horrorgeschichten. Und BLOTTED SCIENCE wären medizinische Fachliteratur.
Die Metapher beschreibt das Album „The Machinations Of Dementia“ nicht nur thematisch perfekt, es liest, bzw. hört sich auch genau so: Dies ist keine angenehme Unterhaltungslektüre, nichts was man auf herkömmliche Weise genießen könnte, nichts was einem Spaß bereitet. Stattdessen verheißt das Werk Arbeit: Seite für Seite, Song für Song arbeitet man sich durch die in komplizierter „Fachsprache“ gehaltenen Kompositionen, versucht sie zu verstehen. Dabei muss man manche Abschnitte immer wieder hintereinander hören, bis sich einem ihr musikalischer Sinn erschließt. Das Ganze wirkt kalt und nüchtern. Eine Gitarre, ein Bass, Drums und hin und wieder ein paar Keys. Kein Gesang.
Warum sollte man sich so etwas antun? Ein normaler Mensch liest doch auch keine medizinische Fachliteratur, wenn er nicht gerade Arzt werden will? Das ist eine schwierige Frage, die Antwort darauf muss jeder für sich selbst finden. Es gibt ja schließlich auch Leute die Zwölf-Ton-Musik hören, weil es ihnen gefällt, sich mit dem Unbekannten auseinander zu setzen, das andere Menschen wohl nur als eine „Ohrvergewaltigung“ abtun würden. Wenn man sich auf dieses Album einlässt und bereit ist, es zu studieren und in seiner ungewöhnlichen Art zu akzeptieren, dann belohnen einen BLOTTED SCIENCE mit einer wahren Goldmine aus musikalischen Meisterleistungen. Man muss eben nur nach ihnen graben.
Wenn man noch tiefer schürfen will und alle „Fachwörter“ in den „wissenschaftlichen Ausführungen“ verstehen möchte, sollte man sich auch mit der ungewöhnlichen Kompositionstechnik des Songwriters Ron Jarzombek auseinander setzen. Dieser verwendet eine von dem Musiker Peter Schat entwickelte Methode, die sich an die oben erwähnte Zwölf-Ton-Musik anlehnt. Abgedreht? Ja, klar, aber darum geht es hier ja auch, das sollte man inzwischen gemerkt haben.
Wer nun Angst hat, dass „The Machinations Of Dementia“ nur Mathematik ist, von vorne bis hinten durchgerechnet und langweilig perfekt, den kann ich beruhigen: Trotz des ganzen technischen Krimskrams, kommt die kreative Seite der Musik als Kunst auch nicht zu kurz: Das Songwriting bietet überraschend viel Abwechslung, es gibt auch immer wieder Stellen, die wie improvisiertes Jammen wirken, oder einzelne leicht zugängliche Passagen, die das Album auflockern, wie etwa der Track „Vegetation“, der ruhig, aber leicht bedrohlich, das letzte Drittel des Longplayers einläutet. Ganz am Ende trumpfen BLOTTED SCIENCE dann nocheinmal mit etwas vollkommen absurden auf: „Adenosine Buildup“ ist „Adenosine Breakdown“ rückwärts gespielt. Bach lässt grüßen.
Bei so einem abgedrehten, schwer verständlichen Werk wie „The Machinations Of Dementia“ wird oft die ausgelutschte Phrase „Hier ist Musik noch Kunst“ benutzt, um dessen Existenz zu rechtfertigen. Doch das Wort „Kunst“ scheint mir an dieser Stelle nicht richtig am Platz zu sein, das Album wirkt tatsächlich mehr wie eine Art Doktor-Arbeit. Und zwar eine Doktor-Arbeit über das Gitarre-Spielen. Wem kann man so etwas empfehlen? Wahrscheinlich niemandem. Oder jedem, der seinen musikalischen Horizont erweitern möchte und mal Lust auf etwas komplett Abgefahrenes hat.
Wertung: 10 / 10