Wenn bei einem Album bereits beim allerersten Lied, in der allerersten Sekunde, auf die allererste Zählzeit die Instrumente nicht zeitgleich einsteigen, sondern schon da auseinanderschwimmen, dann ist das ein sehr, sehr schlechtes Zeichen. BLIND SEER aus Belgien, die ihre Musik (aus welchem Grund auch immer) als Experimental Metal bezeichnen und von ihrem Label Massacre Records als Extreme Metal (!) beworben werden, haben nun leider ihr Debütalbum „Apocalypse 2.0“ veröffentlicht.
Ein Seher muss man allerdings nicht sein, um nach den ersten 30 Sekunden zu wissen, wie es weitergeht. Auf allerfurchtbarste Art und Weise hat das Trio hier ein unbeschreiblich miserables Album erschaffen, das mit seinen 53 Minuten eine pure Qual darstellt. 75 % der Zeit weiß man als Hörer nicht einmal, was genau die Band da machen wollte. Die Musiker spielen alle so dermaßen weit auseinander, dass man bestenfalls mit viel Raten noch erahnen kann, wie das eigentlich hätte klingen sollen. Am schlimmsten ist dabei, dass die Truppe es meist nicht bei einer Gesangsstimme und einer Gitarre belässt, sondern auf mehrstimmige Arrangements zurückgreift und darüber hinaus in ihren stinknormalen melodischen Heavy Metal noch unsinnige Elektronikspielereien einbaut, die dann natürlich ebenfalls alle irgendwo in den Weiten des Taktes verstreut liegen. Wobei „normal“ hier als Beschreibung fast schon wieder unzutreffend wäre, denn qualitativ bewegen sich BLIND SEER meilenweit unter jeglicher Norm und mittelmäßigem Standard. Was allerdings an all dem experimentell sein soll, erschließt sich auch bis zum Ende des Albums nicht. Vielleicht ist eine Art Sozialexperiment gemeint, bei dem beobachtet wird, wie viele Metal-Fans für diesen Totalschrott Geld auszugeben bereit sind und sich damit als vollkommen ahnungs- und anspruchslos outen.
Zurück zu den Instrumenten: Das mag alles sehr pingelig klingen, wer aber mal reinhört, wird merken, dass das „Apocalypse 2.0“ wirklich den Todesstoß versetzt. Es ist vergleichbar mit einer schlechten Handschrift. Das Geschriebene mag noch so tiefsinnig und geistreich sein, wenn man es nicht lesen kann, bringt es nichts. So verhält es sich auch hier mit der Instrumentalperformance. Gerade die Gitarren sind eine bodenlose Frechheit. Multi-Nicht-Talent Asthar, der bis auf Gesang und Schlagzeug alle Instrumente auf der Platte verbrochen hat, spielt am laufenden Band Riffs und Soli, die er ganz klar für jeden Laien hörbar überhaupt nicht spielen kann. Selbst simple 8-tel auf einer Saite schwimmen irgendwo im Nirgendwo, bei jedem halbwegs schnelleren Lick oder Solo trifft er die Hälfte der Töne nicht. Apropos Gitarrensoli: Die sind so nicht-mehr-in-Worte-zu-fassen-schlecht und dilettantisch (in einem wahrscheinlich schon als Menschenrechtsverletzung klassifizierbaren Ohrenfolter-Solo in der Mitte von „Secrets Untold“ trifft Asthar den allerletzten Ton einer schiefen Melodieabfolge nicht richtig, sodass in den darauffolgenden Break der traurige Klang eines abgebrochenen Tons nachhallt), dass zwischenzeitlich immer wieder der Gedanke aufkommt, ob die Band eine So-Bad-It’s-Good-Parodie sein möchte. Leider ist das wohl aber nicht der Fall. Jeder hat diese befreundete Undergroundband, die am Wochenende Konzerte im Jugendzentrum gibt, zu der man sich aus freundschaftlichen Gründen hinquält und dort dann die geballte musikalische Inkompetenz ertragen muss. So in etwa klingen BLIND SEER, nur eben auf einem Studioalbum. Das ist in Zeiten von problemlos möglicher Studiotrickserei auch eine Leistung. Irgendwie…
Damit noch etwas zur tatsächlichen Musik gesagt wird: Die ist nicht minder grauenvoll. Belangloses, vollkommen strukturbefreites Heavy-Metal-Gedüdel über generische, beliebig und ohne Konzept aneinandergereihte Riffs mit austauschbarem Gesang. Anders kann man das leider nicht beschreiben, was dieses Höllentrio hier abzieht. Wobei, eines muss man eingestehen: Schlagzeuger J-Mo ist der einzige aus der Formation, der einen Plan von seinem Instrument zu haben scheint. Sein Spiel ist präzise und professionell. Ihm sei aber dringend geraten, sich eine Band zu suchen, die aus Musikern besteht und nicht aus zwei Leuten, die dringend mal einen Dieter-Bohlen-DSDS-Moment nötig gehabt hätten. Ebenfalls passabel ist der Sound von Produzent Brett Caldas Lima (Devin Townsend, Ayreon, Cynic), der angesichts der katastrophalen Kompositionen nur leider komplett rausgeworfenes Geld ist.
Am Ende vergewaltigen die Belgier dann noch David Bowies „Starman“ (der eine Fall, in dem man sagen kann: Zum Glück ist er rechtzeitig gestorben, um das nicht mehr miterleben zu müssen), das aber immerhin als einziges kompetent geschriebenes Stück der klare Höhepunkt dieses Machwerks ist.
Was soll man abschließend zu so einem Album sagen? Normalerweise müsste man dem Hörer dazu raten, sich selbst davon zu überzeugen, wie schlimm „Apocalypse 2.0“ ist. Nachdem das Debüt von BLIND SEER aber eher Bestürzung und potentiell Depressionen und Sinnkrisen auszulösen im Stande ist, außerdem jegliche Lust abtötet, seine malträtierten, traumatisierten Ohren jemals wieder Musik auszusetzen, wäre das keine gute Idee. Absolut peinlich auch für Massacre Records, diese Nichtskönner unter Vertrag genommen zu haben.
Persönliche Anmerkung zum Schluss: Ich hätte gerne 2.0 Punkte vergeben, um einen Wortwitz mit dem Albumtitel machen zu können, aber eine höhere Wertung als 1.5 (für den Schlagzeuger und das David Bowie-Cover) kann ich vor mir selbst nicht rechtfertigen.
Wertung: 1.5 / 10