Review Blind Guardian – Memories Of A Time To Come

Die Welt – nun, mindestens die BLIND GUARDIAN-Fanwelt – wartet seit Jahren gespannt auf das lange angekündigte Orchesteralbum, das Anno Domini 2012 endlich erscheinen soll. Entsprechend verhalten waren viele Reaktionen auf die Ankündigung einer Best Of, denn als Kenner der Band weiß man: Jedes Projekt neben dem eigentlichen Projekt verschlingt in der Regel wichtige Wochen und Monate auf dem Weg zur Veröffentlichung. Nach stolzen 25 Jahren und neun Studioalben sei es den Krefeldern aber mehr als gegönnt, eine kleine Auswahl ihres beeindruckenden Schaffens vom frühen Speed Metal über mächtigen, epischen Power Metal bis hin zur komplexen, progressiven Musik von heute zu einem solchen Paket zu bündeln.

BLIND GUARDIAN wäre aber nicht BLIND GUARDIAN, wenn „Memories Of A Time“ zu einer ordinären Zusammenstellung geraten wäre. Ungeachtet der neu abgemischten Versionen der älteren Alben aus dem Jahre 2007 wurden alle Songs bis einschließlich 2006 („A Twist In The Myth“) nochmal überarbeitet, damit sie soundtechnisch auf dem Level von „At The Edge Of Time“ von 2010 sind. Das hat natürlich vor allem ganz alten Klassikern wie „Majesty“ oder „The Last Candle“ gut getan. Der Klang der Alben aus den späten 80ern und frühen 90ern war nun nicht unglaublich schlecht, aber wenig differenziert und recht rumpelig. Im 2011er Akustikgewand wirken sie nun erfreulich wuchtig und klar. Das macht die Lieder nicht zwingend besser, glücklicherweise aber auch auf keinen Fall schlechter, die neuen Versionen machen also nichts von der kaputt, auch wenn sich die Meinungen hier spalten könnten. Sehr schön auch, dass man jetzt Tonspuren und Geräusche aus dem Hintergrund wahrnehmen kann, die ursprünglich untergegangen sind, das gibt den Liedern noch zusätzliche Tiefe und Qualität. Vor allem „Nightfall“ profitiert enorm, einfach unglaublich, welche Details man mit einem einfachen Remix noch rausholen konnte!

Wesentlich interessanter aber sind die vier Neuaufnahmen auf der zweiten CD. „Valhalla“ macht den Anfang und ist vor allem gesanglich deutlich an die aktuellen Liveversionen angelehnt, bekommt dadurch mehr Drive und Power als auf „Follow The Blind“. Und was wäre „Valhalla“ ohne Kai Hansen? Immer noch gut, aber es würde gewaltig was fehlen, sehr cool daher, dass auch er wieder dafür gewonnen werden konnte, die Bridge einzusingen. Der Bandklassiker schlechthin ist und bleibt natürlich „The Bard’s Song (In The Forest)“. Da es hiervon schon unzählige Versionen gibt, lies man sich etwas Besonderes einfallen: Die Akustikgitarre wird durch sanfte Streicher unterstützt, es sorgt für ein überaus schmusiges Hörgefühl. Sehr schöne Orchesterversion, auch wenn man sich nur schwer vorstellen kann, wie sich ein Orchester ums Lagerfeuer aufstellt. Viele wird es freuen, dass der oft unterschätzte und vergessene „The Bard’s Song (The Hobbit)“ ebenfalls neu eingespielt wurde, der zweite Teil des Klassikers bekam eine kraftvolle Heavy-Version spendiert. Das fast viertelstündige Überwerk „And Then There Was Silence“ fehlt noch im Bunde, hier gibt es aber keine verrückte Orchesterversion oder ähnliches, wie sich viele erhofft hatten. Stattdessen wurde im Detail geschraubt, die neue Version ist viel greifbarer und organischer und einfach umwerfend. Ich kann nun ehrlich gesagt nicht ausmachen, ob die Orchesterarrangements wieder Samples sind oder von einem echten Orchester eingespielt wurden, es klingt jedenfalls richtig gut und ist alleine schon den Kauf wert. Ist halt einfach das beste Lied der Welt, jetzt erst recht.

Natürlich kann man, gerade bei BLIND GUARDIAN, wie bei jeder Best Of über die Songauswahl streiten. Machen wir hier aber nicht, da es eh keinen Sinn macht und bei dieser gewaltigen Discografie immer jemand was zu meckern hat. „Memories Of A Time To Come“ ist so ein toller Rückblick geworden Dieser ist sowohl lohnenswert für langjährige Fans, die bereits alles im Schrank haben, wie auch für Neulinge, vor allem natürlich in der Deluxe Version mit drei CDs, die ich dringend empfehlen möchte. Da bekommt man „Symphonies Of Doom“ und „Batallions Of Fear“, die beiden Demos der Lucifer’s Heritage-Tage und die klingen hier wesentlich besser als die alten Audiokassetten, neben denen es sich die Best Of nun gemütlich machen darf. Dazu gibt es noch sechs Hits, die man möglicherweise bei der regulären Version vermisst, alte beliebte Gassenhauer wie „Lost In The Twilight Hall“ und „Ashes To Ashes“ finden sich hier in aufgebohrten Demo-Versionen. Sind eben wesentlich rauere Versionen als auf den jeweiligen Alben, vor allem Hansis Gesang entlockt im Vergleich zu den Neuaufnahmen ein paar Schmunzler.

Puh, wer hätte gedacht, dass es über eine Best Of so viel – und eigentlich noch mehr – zu erzählen gibt? Die Band selbst erzählt jedenfalls auch gerne, wieso sie genau diese 16 Lieder ausgewählt hat, zu jedem Song gibt es nämlich eine Seite im Booklet mit Linernotes dazu, richtig cool. Die üblichen alten, peinlichen und haarprächtigen Bilder dürfen natürlich auch nicht fehlen.
Zum Schluss bleibt mir nur zu sagen: Danke, danke, danke sehr für so viel hervorragende, berührende Musik und dazugehörige Erinnerungen und Emotionen. Allein viele Erinnerungen an das Blind Guardian Open Air 2003 sind noch unheimlich präsent in meinem Kopf. Nun reicht es aber, „Memories Of A Time To Come“ ist für den BLIND GUARDIAN-Fan, der schon alles hat, dennoch sehr lohenswert und für Neueinsteiger eine gute Chance, noch so viel mehr magische Momente zu entdecken als auf diesen zwei bzw. drei CDs. Lassen wir die letzten Worte der Band, die sich – wie auch wir – auf viele weitere Jahre des Wartens, Vorfreuens und Genießens freuen:„After 25 years of practicing we are finally ready to start working on seriously good music. The days of rehearsals are over, we are ready to hit the lights.“

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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