Leider genießen die bayrischen Jungs von RPWL mit ihrem leicht floydigen Artrock weit weniger Aufmerksamkeit, als sie eigentlich verdienen. Trotzdem – oder gerade deshalb – sollte darauf hingewiesen werden, dass Gitarrist Karlheinz Wallner nun auch einmal eigene Wege geht. Hörte die letzte Studioarbeit von RPWL noch auf den Namen „World Through My Eyes“, so hält sich Wallner persönlich lieber den „Mirror“ vor sein BLIND EGO und erkundet mit ihnen gemeinsam seine eigene Vision von Rockmusik.
Freilich stehen auch noch andere, bekannte Kollegen mit vor dem Spiegel: Sein Bandkollege Yogi Lang bedient die Keyboardabteilung und sorgt für ausgiebige atmosphärische Spielereien. Dazu hat sich Wallner so ziemlich die komplette Arena-Mannschaft geholt. Aus der aktuellen Arena-Besetzung sind John Mitchell und Clive Nolan dabei, hinzu kommen mit Paul Wrightson und John Jowitt noch zwei ehemalige Arena-Mitstreiter. Wer nun typischen Clive Nolan-Einheitsneoprog aus der Konserve erwartet hat, liegt hier falsch! Wallner setzt in elf sehr persönlichen Songs Erlebnisse der letzten drei Jahre um und hat dabei verschiedene musikalische Spielwiesen erkundet, ohne komplett sein musikalisches Land zu wechseln.
Seine Zugehörigkeit und sein Einfluss auf den Sound von RPWL wird auch bei seinem Soloprojekt klar. BLIND EGO erinnert ganz klar an RPWL, ohne allerdings deren ausufernde Verspieltheit und psychedelische Komponente aufzuweisen. Wallner hat hier kompaktere Ideen formuliert und bringt diese (größtenteils) schneller auf den Punkt. Ganz klipp und klar heißt das: Wir finden hier modernen Rock vor, der mal atmosphärisch-knackig groovt und an simpleren Artrock erinnert. Hinzu kommen schöne, episch-traurige Balladen mit leichtem Neoprog-Touch und einige Instrumentalsongs („Open Sore“, „Hollowed“, „Moorland“), in denen Wallner von atmosphärischen Soli über härtere Rock-Grooves und schnelle Soli alles auffährt und so für Abwechslung sorgt. Natürlich kann er seinen typischen Gitarrensound nicht ausblenden – auch wenn die Solospots in den meisten anderen Songs also sehr kurz ausfallen, sie erinnern immer noch stark an Pink Floyd und David Gilmour. Mit dem abschließenden, zehnminütigen „Forbidden To Remain“ findet sich auf dem Album dann auch noch eine eindeutige, aber auch äußerst gelungene Pink Floyd-Hommage, in der Wallner ganz besonders glänzt. Aus dem Gesang hält er sich allerdings völlig raus – hierfür hat er ja John Mitchell und Paul Wrightson. Die straighteren, kompakteren und rockigeren Songs übernimmt John Mitchell (z.B. „Break You“, „Obsession“), wird es epischer, so tritt Wrightson vors Mikro (z.B. „Black Despair“, „Forbidden To Remain“). Interessant zu beobachten ist dabei, wie sehr der jeweilige Sänger die Stimmung und Atmosphäre der Musik verändert. So weisen die von Mitchell gesungenen Tracks tatsächlich mehr als nur einmal eine Nähe zu Kino (seinem Projekt mit Pete Trewavas von Marillion) auf, während Wrightson – für mich immer noch der einzig wahre Arena-Sänger – Wallners Musik fast in prototypische Arena-Songs verwandelt, die allerdings Gott sei Dank mit einem gut gespielten Schlagzeug aufwarten können und auch nicht vom Clive Nolan Keyboard-Einheitsbrei zugeschüttet worden sind.
Anhänger von Artrock und Neoprog sollten also an dieser Scheibe durchaus ihren Gefallen finden. Wallner präsentiert uns eine knackige, rockigere Version von RPWL mit einem Schuss Kino und Arena. Ohne die Langzeitwirkung und Tiefe des letzten RPWL-Albums zu haben, unterhält „Mirror“ den Hörer hier für eine Stunde ohne Ausfälle und mit viel Abwechslung. Fans oben genannter Bands können „Mirror“ sofort auf ihren Einkaufszettel schreiben. Klare Highlights für mich: Das moderne, rockige „Break You“, die edlen Longtracks „Don’t Ask Me Why“ und „Forbidden To Remain“, sowie der Bonustrack „Artist Manqué“, der ursprünglich von der RPWL-Vorgängerband Violet District stammt und nach dem ruhigen Beginn mit ein bisschen Fantasie sogar ein Saga-ähnliches Gitarrenriff auffährt.
Wertung: 8 / 10