Island ist bekannt für seine wundervolle Natur, aber auch erstklassige Musiker, deren Kunst mindestens genauso einzigartig ist wie der Inselstaat hoch im Norden. BJÖRK ist eine dieser Künstlerinnen, die über ihr musikalisches Schaffen hinaus auch als Schauspielerin tätig ist. Mit „Vulnicura“ hat sie 2015 ihr neuntes Soloalbum vorgelegt, das typisch BJÖRK ist und doch gleichzeitig auch überrascht. Sie selbst sagt, dass sie mit dem Longplayer die Trennung von Matthew Bearney und den damit verbundenen Heilungsprozess verarbeitet.
Der Opener „Stonemilker“ ist ein atmosphärisches Stück Musik, das weniger vertrackt und sperrig ist als viele von BJÖRKs Songs. Dennoch ist es nicht zugängige Radiomusik der Marke Taylor Swift. Der Titel erinnert im Gegenteil stark an die sehr erfolgreichen Landsmänner Sigur Rós. Mit kräftigem Avantgarde Pop, der von Streichern und Trip-Hop-Beats getragen wird, zeigt sich die vielseitige Musikerin in „Lionsong“. Trotz vieler experimenteller Ansätze scheint die Sängerin geerdeter und ihre Songs persönlicher geworden zu sein. Ausgeflippte Vocals, die zwischen hohen Schreieinlagen und lieblichem Gesang pendeln, sucht man vergebens. Insgesamt wurde auch die Instrumentierung stark zurückgefahren, um ihre bloße Stimme wirken zu lassen. Und das funktioniert in diesem Kontext erstaunlich gut.
Die Spieldauer der Songs, mit Ausnahme des kürzer gehaltenen „History Of Touches“ und dem Rausschmeißer „Quicksand“, pendelt sich zwischen rund sechs und zehn Minuten ein. Die Streichinstrumente übernehmen wiederholt eine federführende Rolle, so auch im längsten Song „Black Lake“, der nur punktuell auf Gesang setzt und viele sphärische Parts vorzuweisen hat. Stellenweise könnte man Hang zum Kitsch erkennen, der sich aber noch in einem erträglichen Rahmen bewegt. Alle Titel entwickeln trotz aller Finsternis und jedweder Herzschmerz-Emotion einen unglaublichen Flow. Dazu trägt auch der Mix von The Haxan Cloak immens bei, dessen Arbeiten ansonsten eher im Dark Ambient angesiedelt sind.
BJÖRK bleibt weiterhin eine musikalische Eigenbrötlerin, die nicht nur scheinbar auf gängige Klischees und Genregrenzen pfeift. „Vulnicura“ ist ein hochkarätiges Album zwischen Trip Hop, klassischer Musik und avantgardistischem Pop geworden und transportiert zugleich einen zutiefst persönlichen Anstrich mit jeder Note. Wer sich in experimenteller Musik vollständig fallen lassen kann, dabei auch nicht vor etwas Kitsch und Dissonanzen zurückschreckt, der ist mit diesen neun Songs auf voller Linie gut beraten. Das ist wahre und authentische Kunst. Punkt.
Wertung: 9 / 10