Es gibt so Alben, zu denen kommt man wie die Jungfrau zum Kind. Das schlicht und einfach mit „II“ betitelte zweite Album der Kanadier BILLY TALENT, die bis 1999 als „Pezz“ noch eher erfolglos auf Progressive Rock Pfaden wandelten, ehe man Name und Stil änderte, was zu großen Erfolg mit ihrem selbstbetitelten Debütalbum führte, ist so eines. Als ich vor einigen Tagen auf dem Geburtstag von einer Freundin war, schien irgendwie die ganze Zeit die gleiche CD zu laufen, welche mir richtig gut gefallen hat. Glücklicherweise konnte ich mich am nächsten Morgen noch an den Namen der Band erinnern und da sich die Ohrwürmer aus meinen Lauschern irgendwie nicht vertreiben ließen, war es dann um mich geschehen und das Album musste her, was sich als keine falsche Entscheidung herausstellte, denn auch im nüchternen Zustand war der Eindruck zwar klarer, aber keinesfalls schlechter.
Ohne mit der Wimper zu zucken legen BILLY TALENT mit „Devil In A Midnight Mass“, welches sich gekonnt mit dem Thema Kindesmissbrauch beschäftigt, los. Der Song strotzt nur so vor Energie und sorgt gegen Ende für ein richtiges Aha-Erlebnis in Form von einer kurzen, zum Songtext passenden („Whisper, whisper, don’t make a sound“) Flüsterpassage, gefolgt von zornigen Shouts, die dafür sorgen, dass der Song richtig hängen bleibt, auch wenn der folgende fröhliche Gute-Laune-Song „Red Flag“ ebenfalls im Uptempo angesiedelt ist und vom Niveau her keinesfalls abfällt. Während die abgehackten, einfachen Gitarrenriffs und die einprägsamen Punkmelodien wohl jedem gefallen dürften, der mit Alternative Rock etwas anfangen kann, sorgt der Gesang von Frontmann Benjamin Kowalewicz für geteilte Meinungen. Natürlich liegen seine stärken im geschrienen Gesang, was dazu führt, dass er bei ruhigeren Passagen etwas quietschig klingt, andererseits konnte ich mich nach mehreren Durchläufen des Albums immer mehr damit anfreunden und bin der Meinung, dass sie dem Ganzen auch etwas mehr Charakter gibt als eine „normale“ Stimme, wie man sie tausendfach zu hören bekommt.
Um den Vogel abzuschießen und die ersten beiden Songs alt aussehen zu lassen folgt nun ein wahrlich einzigartiges Stück. Ich frage mich warum „Red Flag“, „Devil In A Midnight Mass“ und „Fallen Leaves“ als Single ausgekoppelt wurden und nicht „This Suffering“. Als Anreiz sich das Album zu kaufen? Ich weiß nicht, jedenfalls beinhaltet dieser Song so fast alles, was einen guter Alternative- bzw. Punk-Song ausmacht. Hohes Tempo, einprägsame Melodien und ein großes Ohrwurmpotential. Wenn dazu dann auch noch wie im Falle von „This Suffering“ ein sehr schöner Songtext, enorm viel Atmosphäre und eine einfach, aber trotzdem unbeschreibliche Bridge dazukommt, dann hat man einen Song, der sich quasi dazu aufdrängt immer wieder gehört zu werden. Welch undankbare Rolle für die nachfolgenden Songs – und tatsächlich vermögen die beiden nächsten Songs nicht richtig mitzureißen, ehe „Fallen Leaves“ und noch viel mehr das anfangs bedrückt wirkende, dafür gegen Ende umso impulsivere „Where Is The Line“ wieder für gute Laune in Form von erstklassigen Songs mit Ohrwurmpotential sorgen. Auch wenn sich nun ein paar kurzzeitige Längen in den Songs vorfinden lassen, so findet man auch gegen Ende des Albums noch Highlights wie das eingängige, im Up-Tempo angesiedelte „In A Perfect World“ und den zwischen Gefühl und Energie pendelnden Rausschmeißer „Burn The Evidence“.
Die Kanadier haben es mit dem Nachfolger „II“ zu ihrem selbstbetitelten Quasi-Debüt-Album geschafft, eine Vielzahl an Songs mit nur wenigen Ausfällen zu kreieren, denen es vor allem am Ohrwurmpotential nicht fehlt. Im Falle von „This Suffering“ ist das Wort „erstklassig“ sogar noch untertrieben, denn der Song stellt für mich etwas Besonderes dar. Natürlich steht und fällt die Begeisterung für das Album auch etwas an Benjamins Stimme, die wohl nicht jedermanns Sache sein sollte. Wer sie wie ich für sehr individuell und passend empfindet, der wird mit dem Album, welches irgendwo in der Schnittmenge aus Alternative und Punk Rock angesiedelt ist, seinen Spaß haben und es BILLY TALENT auch gönnen, dass sie mit dem Album sogar den ersten Platz der deutschen Charts erreichen konnten.
Wertung: 8 / 10