Mit „Das Geschäft mit der Musik: Ein Insiderbericht“ legte Konzertveranstalter Berthold Seliger 2013 (Neuauflage: 2015) ein spannendes, um nicht zu sagen mitreißendes Sachbuch vor: Wer verdient im Musik-Business heute womit eigentlich noch wie viel Geld? Vom Live-Sektor bis zur Tonträgerindustrie, Lizenzinhabern und Verwertungsgesellschaften, Sponsoring, der sozialen Situation für Künstler in Deutschland und der diese prägenden Politik: Übersichtlich und gut gegliedert wurde hier der gesamte „Geschäftsbereich Musik“ durchleuchtet.
Mit „Vom Imperiengeschäft: Wie Großkonzerne die kulturelle Vielfalt zerstören“ legt Seliger nun nach: Was im Vorgänger bereits angeklungen war und beim Lesen immer wieder für Kopfschütteln sorgte, steht hier nun im Fokus: Die Dominanz weltumspannender Konzerne im Musik- und Kulturbetrieb, denen nicht nur Fans, sondern auch und vor allem Künstler hoffnungslos ausgeliefert sind.
Auch diesmal gliedert Seliger seine Abrechnung in vier Kapitel, die sich mit unterschiedlichen Themenfeldern befassen. Deren erstes, schlicht „Imperiengeschäfte“ betitelt, bietet im Endeffekt eine aktualisierte und ausgearbeitete Darstellung der bereits in „Das Geschäft mit der Musik“ angesprochenen Problemfelder (etwa die skandalöse Kartellbildung und Gewinngenerierung im Sektor Konzertticket-Verkauf). Hat man dieses Buch in der aktualisierten Fassung gelesen, findet sich hier nicht viel grundlegend neues – wenngleich die zugespitzte Situation, untermauert durch aktuelle Zahlen, durchaus als dramatisch bezeichnet werden kann. Das könnte sie allerdings auch, würde Seliger nicht derart demonstrativ auf dem Terminus „Imperiengeschäft“ herumreiten, dass einem dieser nicht nur in allem, wofür er steht, sondern auch ganz profan sprachlich schon bald zum Hals heraus hängt.
In den folgenden Kapiteln zu Festivals („Hippies, kalifornische Ideologie und das Silicon Valley“) sowie Kulturstätten („Immobilienverwertung, Kulturorte und der öffentliche Raum“) geht Seliger dann aufs große Ganze: Wortreich und durchaus fundiert erzählt er etwa die Entstehungsgeschichte des Musikfestivals als Veranstaltungsart nach – dass es sich hier seit Woodstock, also von Anbeginn an, um ein durchkommerzialisiertes Business handelt, ist allerdings eine wenig überraschende Erkenntnis. Immer mehr lässt Seliger dabei seinen Emotionen und politischen Ansichten freien Lauf: Etwa, wenn er für Festivals eine Frauenquote bei den Bands fordert, eifrig Karl Marx zitierend erklärt, warum das künstlerische Prekariat von heute dem Lumpenproletariat von damals entspricht oder gleich das gesamte sozioökonomische Kulturkonstrukt heutiger Großtstädte, von Smart-Towns bis zur Gentrifizierung, ins Visier nimmt. Streckenweise wird sein Werk vom Sachbuch regelrecht zum Manifest.
Diesen nicht mehr auf Imperiengeschäfte, sondern eigentlich den gesamten Kapitalismus ausgeweiteten Feldzug führt Seliger zuletzt auch in Kapitel 4, „Kulturelles Prekariat und konzeptive Ideologien“ weiter: Auch hier durchaus mit vielen Argumenten und Beispielen – wirklich konkrete und tatsächlich auch umsetzbare Alternativen stellt Seliger den weltumspannenden Problemen dabei allerdings nur wenige entgegen. Wie sollte er auch: Schlussendlich ist Seliger Konzertveranstalter, nicht Wirtschaftsweiser oder der Hüter über den Stein der Weisen. Als Leser hätte man es sich nur so sehr gewünscht, auf all die Missstände, von unterbezahlten Künstlern bis hin zu staatlich subventionierten, aber kapitalistisch agierenden Spielstätten „einfache“ Lösungen präsentiert zu bekommen.
Doch die Welt ist nun einmal nicht „einfach“, das zumindest wird auch durch „Vom Imperiengeschäft“ einmal mehr klar. Vielleicht ist das Buch in seinem deutlich politischeren, weiter gefassten Ansatz etwas überambitioniert angelegt – vielleicht braucht es aber auch genau solche Einzelkämpfer wie Berthold Seliger, die den Finger in die Wunde legen, auch wenn sie wissen, dass sie damit allein kein Wunder vollbringen. Wer sich nur mehr Einblick in das Musikbusiness erhofft, ist mit „Das Geschäft mit der Musik“ definitiv besser beraten. Wer bereit ist, auch den einen oder anderen Bogen mitzugehen, um etwas mehr Verständnis für das „große Ganze“ im Kulturbetrieb zu bekommen, ist auch mit „Vom Imperiengeschäft“ nicht schlecht beraten.
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