Ich wage es mal, mich gleich im ersten Satz dieses Reviews sehr weit aus dem Fenster zu lehnen und behaupte, dass Metalcore im allgemeinen ein sehr innovationsarmes Genre ist. Man korrigiere mich, falls ich da falsch liege, aber viele Bands dieser Zunft klingen in meinen Ohren einfach sehr gleich. Da ist es doch mal nett, eine Band zu hören, die ihren Metalcore mit anderen Stilmiteln vermischt, um etwas neues, frisches, unverbrauchtes zu schaffen. So geschehen bei den Norwegern BENEA REACH. Die junge Band, deren Name so klingt, als ob sie ein TH vergessen hätten, wurde 2003 in Oslo gegründet, brachte eine Demo namens „Pandemonium“ und einen Langspieler mit dem Titel „Monument Bineothan“ heraus, erreichte damit eine Grammy-Nominierung und liefert jetzt den Nachfolger „Alleviat“ ab, der in nördlichen Gefilden schon seit Februar zu haben ist und im Juli auch endlich seinen Weg nach Süden fand. Ein Grund zu feiern?
Jain. Das mal vorweg genommen: BENEA REACHs zweiter Streich ist nicht so gut, wie er gerne wäre. Das ist jetzt erstmal eine etwas nichtssagende These, aber es wird vielleicht klarer, wenn ich dazu schreibe, dass das Potential dazu definitiv vorhanden war, die mangelnde Umsetzung aber im Endeffekt selbstverschuldet ist. BENEA REACH haben sich durchaus einen Haufen Gedanken über teile ihrer Musik gemacht, aber andere Teile dabei völlig unter den Tisch fallen lassen und so ein sehr zwiespältiges Album mit sehr schwankender Qualität abgeliefert. Und noch dazu eins, das so dermaßen sperrig ist, dass man einiges an Einarbeitungszeit braucht.
Dabei möchte man das bei den ersten paar Tracks gar nicht glauben, denn der Opener „Awakening“ ist eine sehr straight durchrockende Nummer, die quasi langweiligen und schlechten Metalcore in Reinform zeigt. Die Riffs sind langweilig und viel zu gleichförmig, die Vocals sind nervtötend, das Drumming total überladen und der Text… ich würde ja gerne den barmherzigen Mantel des Schweigens darüber breiten, aber ich bin eben ein Kritiker, also müssen die jetzt auch dran glauben. Und ein weiteres Mal schwirrt mir der Gedanke durch die Birne: Wenn man kein Englisch kann, wieso muss man dann unbedingt Texte in der Sprache verfassen? Hier klingt alles so gekünstelt und simplifiziert und wenn mal eine etwas durchdachtere Phrase rausgehauen wird, dann kann man sich sicher sein, dass BENEA REACH einfach ein paar gut klingende Schlagworte zusammengefasst haben. Ganz ehrlich, die Texte sind Schrott.
Auch „New Water“ bringt keine großartigen neuen Erkentnisse, erst der dritte Track „Lionize“ zeigt die Norweger endlich mal von einer besseren Seite. Das Intro weiß durchaus eine depressive Atmosphäre aufzubauen, die so fragil ist, dass der Zuhörer gebannt den Atem anhält, um bloß nichts kaputt zu machen. Schade nur, dass die Band nicht dasselbe tut, denn die bolzt kurz darauf wieder los und haut alles, was sie zusammengespielt haben wieder schonungslos zu Klump. Ja, es gibt Bands, die es hinkriegen, zerbrechliche und brutale Parts so zu kombinieren, dass eine einheitliche Atmosphäre entsteht, BENEA REACH gehören nicht dazu, dazu sind die generischen Metalcore-Riffs, die sie in ihren brutalen Augenblicken auspacken, nämlich zu… hm… generisch. Und sie klingen auch noch so, als ob sie einfach aus dem ersten Song rausgeholt, kopiert und wieder und immer wieder eingefügt worden wäre. Füllwerk, ja, das ist das richtige Wort.
Das könnte ja alles noch irgendwo in Ordnung gehen, wenn die Jungs dieses „Füllwerk“ denn ordentlich eingebaut hätten, aber leider Gottes sind die Norweger große Fans von dem, was mein Musiklehrer in der zwölften Klasse liebevoll die „Hau Ruck“-Methode nannte. Damals demonstrierte er uns, im Zuge der Harmoniklehre, wie man nicht von einer Musikfigur zur anderen wechseln sollte, nämlich ohne Rücksicht auf Verluste einfach indem man die beiden Teile ohne ordentliche Überleitung direkt hintereinander weg spielt. Wie schon angedeutet: BENEA REACH machen das unheimlich gerne und so lassen sich viele der Songs einfach schwer hören, denn sie wirken total zusammengestückelt und extrem heterogen.
Was jetzt aber nicht heißt, dass die Scheibe ohne ihre Reize wäre. Die Produktion ist relativ druckvoll, ein paar Riffs bleiben gut im Ohr hängen (auch wenn die Musik auf „Alleviat“ nicht „technically brilliant“ ist, wie es der Promozettel uns mitteilt… das eine Solo bei „Sentiment“ erinnert mich an den Mist, den ein Kumpel und ich mal in wenigen Minuten zusammengeschrieben haben, sprich: wüstes Aufs-Griffbrett-Gehaue par excellence), Ilkkas Gesang, der meistens von der nervtötenden Sorte ist, weiß in ganz seltenen Fällen („Reason“) tatsächlich mal zu gefallen und der Gastauftritt von Sängerin Maria Solheim (ebenfalls „Reason“) ist ungewöhnlich, aber deswegen nicht minder cool. Das Highlight der Scheibe ist allerdings der instumentale Track „Illume“, der endlich eine durchgehend deprimierte, zerstörerische, böse Atmosphäre auffährt (kein Wunder, besteht er doch eigentlich nur aus einem Riff, da kann man schlecht was kaputt machen). Der ist echt stark, Hut ab dafür.
Was man aber eben nicht über die ganze CD sagen kann. Eigentlich hab ich nämlich an jedem Track außer „Illume“ was auszusetzen (auch wenn „Lionize“, „Reason“ und „Zenith“ noch sehr cool sind) und größtenteils nicht zu knapp. Wie Licht und Schatten hier aufeinander prallen ist beispiellos, BENEA REACH schaffen es auf der einen Seite tolle Ideen in ihre Musik einfließen zu lassen, auf der anderen aber teilweise so schlecht und nervtötend zu sein, dass man „Alleviat“ als Album der verschenkten Möglichkeiten ansehen muss. Wenn die Jungs es auf ihrer nächsten Scheibe schaffen, ihr Niveau zu stabilisieren (hoffentlich bezüglich der guten Momente), dann prophezeie ich einen neuen Stern am Metalcore-Himmel. Aber bis dahin ist die Musik der Jungs eigentlich nur all jenen zu empfehlen, die sowieso gerne Metalcore der generischeren Sorte hören und ein paar Innovationen gegenüber offen sind.
Wertung: 5.5 / 10