Review Atrorum – Structurae

Einen Multiinstrumentalisten in der Band zu haben, kann nur vom Vorteil sein. Zwei von jener Sorte könnten das gemeinsame Musizieren der Gruppe womöglich in ein etwas komplizierteres Unterfangen wandeln, denn zwei Genies in einem Raum sind zumeist einer zu viel. ATRORUM setzen meiner aufkeimenden Frage, ob zwei sehr begabte Musiker bereit sind, ihre mannigfaltigen Ideen im Zuge eines Kompromisses mit ihrem Gegenüber einzudämmen, noch die Krone auf, denn bei der Münchner Avantgarde-Black-Metal-Band handelt es sich lediglich um ein Duo, eben bestehend aus zwei Herren, welche die komplette Instrumentierung nur zu zweit bewerkstelligen.

Aus musikalischer Sicht kann das ein riesiges Wirrwarr bedeuten, ein Durcheinander an Ideen und Möglichkeiten. Denn die Fähigkeit zu besitzen, schwierige Musik kombinieren zu können, ist das Eine, das Andere ist deren scheinbar leichte Aufnahme durch den Hörer. Musik, die im Ohr schmerzt, keinerlei roten Faden zu besitzen scheint und wahllos durch die Motive springt, spricht in den meisten Fällen eben doch nur Technik-Fetischisten an. Diese können sich bei ATRORUMs aktueller Platte „structurae“ auch durchaus angesprochen fühlen, denn die Münchner umbrA und vatroS gehen hochgradig progressiv und komplex zu Werke.

So komplex, dass ihr drittes Album auf Anhieb etwas überfordert, aber nicht, weil die Arrangements das befürchtete Wirrwarr darstellen, sondern weil es schlichtweg so viele Eindrücke sind, die alle erst nach mehrfachen Hören realisiert und verarbeitet werden können. Die quirlige Akustik-Gitarre teilt sich ihren Auftritt mit dramatischen Klavier-Einlagen, melodiöse Gesangspassagen in Französisch, Deutsch und Englisch werden von bitterbösen Growls abgelöst, Black-Metal-Riffing trifft auf mehrstimmigen Gesang und all das Genannte ist nur ein Bruchteil dessen, was ATRORUM auf „structurae“ präsentieren. Den Beiden gelingt es, all ihre Ideen in ein erstaunlich homogenes Werk zu verpacken, welches dank der schlüssig ineinander übergehenden Motive schnell, zumindest stellenweise, in das Ohr des Hörers wandern und dort nachhaltig verharrt. Sei es der catchy Klargesang in „Menschsein“, das eingängige Riffing in „Amapolas“ oder die Loops in „Große weiße Welt“, kleine Fetzen der überlangen Lieder bleiben sofort im Gedächtnis, aber erst mit der Anzahl der Durchläufe von „structurae“ wächst auch der definitiv vorhandene Wiedererkennungswert der einzelnen Tracks.

By the way: Wer bereits im ersten Abschnitt bei Avantgarde-Black-Metal-Dou hellhörig wurde und sich an das norwegische Pendant Solefald erinnert fühlte, befindet sich auf dem richtigen Weg, denn neben der personellen Gleichheit ist auch ATRORUMs Art des Musizierens nicht anders als die von Cornelius und Lazare: unkonventionell, hochgradig eigen und mutig. Und da sie sich neun Jahre lang Zeit ließen, um ihrem Zweitwerk „Exhibition“ einen Nachfolger zu schenken, scheint auf diesem auch all das vereint zu sein, was den umtriebigen Musikern in der Zwischenzeit in den Sinn kam. Das macht dieses Album zu einem Konglomerat an musikalischen Raffinessen, welche ebenso dunkel („Verfugung“) wie verspielt („Ψαλμός“) klingen und schlussendlich nur zu einem Fazit führen können: Musikalische Avantgardisten mit Hang zu intelligenten Texten werden „structurae“ lieben!

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Wertung: 8.5 / 10

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