Review Ascension of the Watchers – Numinosum

Was macht ein Thrash Metal-Sänger, wenn seine Stammband zerfällt? Nun, für stichhaltige Statistiken fehlt es hier wohl quantitativ an Beispielen, Fear Factory-Kreischsäge Burton C. Bell jedenfalls schlug einen recht eigenwilligen Weg ein: Mit Freund und Mentor John Bechdel zog er sich in die ländliche Einöde des US-Bundesstaates Pennsylvania zurück und ließ dort unter freundlicher Mithilfe des eben erwähnten Bechdel seiner Kreativität freien Lauf. Heraus kam dabei 2005 (schon nach der Fear Factory-Reunion) die EP „Iconoclast“, die bereits einen Vorgeschmack auf das nun drei Jahre danach erscheinende Album „Numinosum“ geben sollte; viele der Songs von der EP finden sich hier wieder.

Eines vorweg: Wer hier quasi den kleinen Bruder von Fear Factory erwartet, dürfte von Bells Projekt ASCENSION OF THE WATCHERS (im Folgenden AOTW genannt) schwer enttäuscht werden, denn thrashig ist hier überhaupt nichts; im Gegenteil, die härtesten Passagen lassen sich vielleicht noch als rockig bezeichnen, das wars dann aber auch schon. Hauptsächlich ist die Musik, die man hier immerhin 72 Minuten lang vorgesetzt bekommt, ziemlich abgehoben und recht schwer einzuordnen. Das Duo bewegt sich in traumhaften (nicht zwangsweise qualitativ gemeint) Klangwelten, in denen cleane E-Gitarren, Akustikklampfen und Bells zugegebenerweise recht prägnantes, wenn auch längst nicht immer souverän klingendes Organ die Führungsrollen übernehmen. Es ist ziemlich schwierig, die akustische Seite von „Numinosum“ zu beschreiben – es ist eigentlich wieder so ein Fall von Musik, die man fühlen muss, wenn es auch nicht so gefühlsintensiv zugeht wie beispielsweise bei Ulver.
Nun besteht bei solchen musikalischen Null-G-Trips die Gefahr, vor lauter Transzendentalität die Bodenhaftung komplett zu verlieren und sich in endlosen und dadurch furchtbar langweiligen musikalischen Exkursionen zu verlieren. Und genau das ist es auch, was hier AOTW zeitweise passiert, speziell in der ersten Hälfte des Albums. Das Intro mit dem Namen „Ascendant“ besteht aus knapp 6 Minuten dumpfem Herzschlag mit minimalistischer Musikuntermalung und kurzen Sprechpassagen; ein Drittel der Länge wäre völlig ausreichend gewesen, denn irgendwann verpufft die aufgebaute Spannung, wenn man mit den Fingern ungeduldig auf dem Tisch zu tippeln beginnt. Sehr ähnlich steht es mit den jeweils um die 8 Minuten langen „Evading“ und „Canon for my Beloved“ sowie „Residual Presence“, die zwar alle ganz hübsch anzuhören sind, ihre Riffs aber bis zum Abwinken wiederholen und auf diese Weise auch den Hörer dazu verführen, dem Traumland einen Besuch abzustatten.

Mit „Moonshine“ hält eine Trendwende Einzug: Das Songwriting fängt sich hier mit einem Mal, zumindest einigermaßen. „Moonshine“ ist ein wirklich schönes Lied, bei dem ich vor meinem inneren Auge immer wieder ein junges Liebespaar im Mondenschein lachend über eine Blumenwiese tanzen sehe. Na, wer will Hobbypsychologe spielen? Wie dem auch sei, ab hier geht es wirklich aufwärts. Die Songs sind kompakter, kommen schneller zum Punkt, wobei dieser „Punkt“ meistens gar nicht auszumachen ist… das ist wieder so eine Schwäche dieses Albums: Das Duo bewegt sich, was den Härtegrad angeht, ja eh schon dauerhaft in verdammt seichten Gewässern, und gleichzeitig verpasst man es, einmal aus dieser auf lange Sicht doch einschläfernden Dynamiklosigkeit auszubrechen.
Das Beste kommt nicht nur bei Jack Nicholson und Morgan Freeman, sondern auch hier zum Schluss: Das Cover des Simon & Garfunkel-Klassikers „Sound of Silence“ ist wunderbar gelungen, sehr hypnotisch und schön anzuhören (kein Wunder bei der Vorlage). Das abschließende „Quintessence“ ist hingegen völlig verrückt: Hier gibt es einen durch immer neue eingesetzte Instrumente erzeugten pyramidenförmigen Spannungsbogen, zu dem sich auf Spaceballs’sche „waaahnsinnige Geschwindigkeit!“ getunte Laute einer Dampflokomotive gesellen. Zusammen wirkt das höchst gespenstisch und faszinierend, speziell das letzte Tuten der Dampflok klingt wie der Schrei irgendeines merkwürdigen Urviechs.

Tja, was kommt dabei nun am Ende raus? Ich würde sagen: Ein Album, das keineswegs auf ganzer Linie überzeugen kann. Burton C. Bell hat sich durchaus einige nette Sachen einfallen lassen („Quintessence“ möchte ich dabei als den größten Geniestreich hervorheben). Doch den netten Einfällen stehen eine langweilige erste Hälfte, fast komplett fehlende Songhöhepunkte und Bells in ruhigen Gefilden doch recht dünne und bisweilen wacklige Stimme gegenüber. Eigentlich tut es mir fast Leid, die beiden Herren hier im Endeffekt abstrafen zu müssen, denn „Numinosum“ ist grundsätzlich ziemlich interessant – nur an der Umsetzung hapert es eben, und zwar recht stark. So bleibt es bei einem Album für Leute mit Einschlafproblemen und für unauffällige Hintergrundbeschallung, für die „Numinosum“ aber irgendwie doch wieder zu gut ist. Schade! Also, Burton: Ab in den Baumarkt und grobes Schleifwerkzeug zum Feilen am Songwriting besorgen.

Wertung: 5.5 / 10

Geschrieben am 6. April 2013 von Metal1.info

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