Als sie 2009 nach zehn Jahren Abwesenheit mit dem überragenden „When Death Comes“ zurückkehrten, hätten es die dänischen Thrasher ARTILLERY vermutlich selbst nicht für möglich gehalten, dass dies der Startschuss für die bisher erfolgreichste Phase ihrer Karriere sein würde. Nur zwei Alben später kam die Mannschaft aus Taastrup beim Global Player Metal Blade Records unter und liefert seither mit schöner Regelmäßigkeit neue Alben von erschreckend hoher Qualität ab. Zuletzt mussten ARTILLERY dennoch einen Schicksalsschlag verkraften, denn Gitarrist und Bandgründer Morten Stützer verstarb 2019 nach längerer Krankheit. Dennoch raffte sich die Band auf, ein neues Albzum zu schreiben und aufzunehmen und so ist auf der passend „X“ betitelten zehnten Platte der Formation erstmals Gitarrist Kraen Meier zu hören, der die Truppe bereits seit 2017 live unterstützt.
ARTILLERY selbst gaben wiederholt zu verstehen, dass „X“ ein Album werden sollte, das alle stilbildenden Elemente ihres Sounds vereint. Schon der Opener „The Devil’s Symphony“ zeigt, dass dieser Plan aufgegangen ist: Die aus so vielen Intros der Dänen bekannten Sitar-Klänge leiten einen kompromisslosen Thrash-Song ein, der von gewohnt furiosem Riffing lebt, dank des melodiösen Gesangs von Frontmann Michael Bastholm Dahl aber nie ins bloße Gebolze abrutscht. Ähnlich auch die von orientalisch angehauchtem Riffing getriebenen Songs „In Thrash We Trust“ oder „Varg I Veum“ sowie das knackige „Force Of Indifference“ – Riffs, Melodien und Arrangements erinnern hier stark an Platten wie „When Death Comes“ oder „Penalty By Perception“, weil sie eben genauso ausfallen, wie man es von ARTILLERY kennt und liebt.
Wenngleich es schön ist, zu wissen, dass ARTILLERY auch mit dem Songwriting-Input vom bisher nur live bei der Truppe involvierten Gitarristen Kraen Meier noch nach sich selbst klingen, stellt sich die Frage: Ist „X“ nur ein weiteres, gewöhnliches Album der Thrasher? Kaum. Abgesehen von den genannten Nummern lassen die Herren auf ihrer zehnten Platte einiges an frischem Wind zu. Das beinahe schon rockige „Turn Up The Rage“ zeigt die Mannschaft bereits von einer etwas anderen Seite und erinnert dezent an Testaments „Electric Crown“ und modernen Groove wie in „Silver Cross“ oder „In Your Mind“ gab es bei ARTILLERY noch nie zu hören. Weil aber auch das experimentellere Material auf „X“ wie auch die traditionelleren Nummern stets von singbaren aber nie kitschigen Refrains zusammengehalten wird, steht es der Band genauso gut zu Gesicht und das Album verliert nie seinen roten Faden.
Insgesamt ist ARTILLERY mit „X“ also ein ebenso abwechslungsreiches wie energetisches Album gelungen. Besagte Energie kommt zweifelsohne zu einem beträchtlichen Teil aus dem frischen Songwriting. Maßgeblich dafür verantwortlich ist aber auch das Leadgitarrenspiel auf dieser Platte. So traurig es ist, dass Michael Stützer sich nicht länger mit seinem Bruder Morten die Bälle zuspielen kann, so gut ergänzt er sich doch mit dem zum „vollwertigen“ Bandmitglied aufgestiegenen Kraen Meier. Dessen Spiel fällt – so scheint es zumindest – etwas technischer aus als das des Bandgründers, was damit bestens zu den moderneren Arrangements von „X“ passt und ein schönes Gegengewicht zum eher traditionellen Spiel seines Gegenparts bildet.
Es war nicht zuletzt der Wunsch des verstorbenen Morten Stützer, dass ARTILLERY nach seinem Tod weitermachen sollten. Mit „X“ schlagen die Thrasher zwangsläufig ein neues Kapitel auf und es hätte ihnen kaum besser gelingen können. Trotz neuer Konstellation beim Songwriting und im Studio haben die Dänen das Grundgefühl ihrer Musik vollumfänglich erhalten und es doch geschafft, neue Elemente in ihren Sound aufzunehmen. Dank durchweg starker Songs und einer über jeden Zweifel erhabenen Performance zeigen ARTILLERY mit ihrem zehnten Album, dass sie auch nach dem tragischen Verlust eines ihrer Gründungsmitglieder noch immer eine der besten Thrash-Metal-Bands Europas sind.
Wertung: 8.5 / 10