Review Árstíðir Lífsins – Saga Á Tveim Tungum II: Eigi Fjǫll Né Firðir

Welche Informationen man einer Geschichte entnehmen kann, hängt maßgeblich davon ab, aus wessen Feder sie stammt. Tagtäglich haben Geschichtswissenschaftler zu beurteilen, inwieweit historische Überlieferungen durch den Blickwinkel ihrer Autoren geprägt sind – für Metal-Bands ist diese Frage hingegen eher selten von Relevanz. Umso bemerkenswerter ist das thematische Konzept, das ÁRSTÍÐIR LÍFSINS „Saga Á Tveim Tungum I: Vápn Ok Viðr“ (2019) und dem nunmehr nachgeschobenen „Saga Á Tveim Tungum II: Eigi Fjǫll Né Firðir“ zugrunde gelegt haben: Auf den beiden jeweils über 70 Minuten langen, vollständig in alt-isländischer Sprache vorgetragenen Platten schildern die Pagan-Metaller die Begebenheiten rund um den Aufstieg des norwegischen Königs Óláfr Haraldsson (995-1030) aus der Sicht zweier Geschwister.

Wie grundverschieden ein und dasselbe Geschehnis aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt werden kann, demonstrieren ÁRSTÍÐIR LÍFSINS auch ihren des Isländischen nicht mächtigen Hörern gleich zu Beginn der Platte auf überaus anschauliche Weise: Im Gegensatz zu dem von der ersten Sekunde an furios tobenden ersten Teil der Saga nimmt die Fortsetzung mit wehmütigen Akustikgitarren und Streichern vor einer natürlichen Geräuschkulisse ihren Anfang und lässt auch auf dem zweiten Stück erst einmal nur Marséls bedrückte Stimme und scharrende, minimalistische Sounds für sich sprechen.

Dass die Musik erst mit dem zehnminütigen „Sem Járnklær Nætr Dragask Nærri“ an Fahrt aufnimmt, ist insofern bezeichnend für das fünfte Album des Trios, als die Kontraste zwischen den eisigen und stürmischen Black-Metal-Passagen und den trübsinnigen Folk-Parts, die mitunter an Marséls und Árnis Schaffen in Wöljager erinnern, hier gefühlt noch etwas schärfer herausstechen als auf der Vorgängerplatte. Dem Storytelling-Aspekt des Albums kommt dies ebenso zugute wie die immer wieder eingebauten Spoken-Word-Abschnitte, in denen Marsél seine knorrigen Screams und monströsen Growls gegen eine stoische Erzählerstimme, nebulöses Flüstern und Hauchen sowie geradezu unmenschlich gurgelnde Laute auswechselt („Um Nóttu, Mér Dreymir Þursa Þjóðar Sjǫt Brennandi“).

Besonders imposant sind darüber hinaus die tiefen, beschwörenden Chöre, mittels derer ÁRSTÍÐIR LÍFSINS etwa „Heiftum Skal Mána Kveðja“ in Kombination mit den sich stetig steigernden Riffs und Drums zu einem monumentalen Finale verhelfen. Auf eingängige, melodiöse Gitarrenleads greifen ÁRSTÍÐIR LÍFSINS im Zuge der neun Tracks zwar nur selten zurück, dennoch prägt sich „Saga Á Tveim Tungum II: Eigi Fjǫll Né Firðir“ dank seines vielfältigen Aufbaus ein Stück weit deutlicher ein als der Auftakt des Epos und wartet zudem mit einer ebenso kraftvollen und natürlichen Produktion auf.

Es geschieht nicht alle Tage, dass eine Band das Textkonzept eines Albums derart gekonnt in die Musik einfließen lässt, wie es ÁRSTÍÐIR LÍFSINS mit ihrer zweiteiligen Aufarbeitung der Ereignisse um König Óláfr Haraldsson tun. Obwohl sich die Band hier praktisch derselben Stilmittel wie auf „Saga Á Tveim Tungum I: Vápn Ok Viðr“ bedient, erscheint das Nachfolgealbum ein wenig vielseitiger und lebendiger. Den unterschiedlichen Wahrnehmungen ihrer beiden fiktiven Protagonisten haben ÁRSTÍÐIR LÍFSINS hiermit auf äußerst stimmige Weise Rechnung getragen und darüber hinaus eine eindrucksvolle Pagan-Metal-Platte geschaffen, mit deren durchaus forderndem Umfang man sogar noch eine Spur einfacher zurechtkommt als noch auf Teil eins der Saga.

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Wertung: 8 / 10

Publiziert am von Stephan Rajchl

3 Kommentare zu “Árstíðir Lífsins – Saga Á Tveim Tungum II: Eigi Fjǫll Né Firðir

  1. Ich habe mir immer sehr gewünscht, dass ich ÁRSTÍÐIR LÍFSINS mal geil finde….aber…
    Alle Elemente sollten mir taugen, die durchdachten Inhalte, in die man sich echt verlieren kann (bzw. könnte), Aufmachung der Alben, musikalische Tiefe, etc.
    Aber mir fehlt irgendwas. Vielleicht hin und wieder dann doch mal ne Hook, die mir zusagt. Klar, jedes Album (und ich hab alle seit Debüt gehört, mehr als zehn mal) hat seine Widerhaken, die einem beim Hören das Gefühl geben, etwas Großem zu lauschen. Letztendlich rauscht aber selbst mit größter Hingabe und Durchsicht der Lyrics und des Artworks das Ganze an mir vorbei.
    Obiges Lied ist noch tatsächlich das, was mir am besten gefällt, aber die Platten von ÁRSTÍÐIR LÍFSINS sind halt auch unheimlich lang und leider schaffe ich es nicht auf Dauer dabei zu bleiben. Irgendwann drifte ich weg.
    Sehr schade!

    1. Hi!
      Ich muss sagen, ich kann dich schon verstehen. Ich habe ja auch das Vorgängeralbum rezensiert und das habe ich aus demselben Grund noch ein wenig niedriger bewertet – es blieb einfach sehr wenig hängen, obwohl es mir beim Hören selbst durchwegs gefallen hat.
      Bei diesem hier hätte ich eigentlich auch nichts anderes erwartet, wurde dann aber doch positiv überrascht. Ich finde, dass man doch mehr prägnante Parts heraushört – vor allem die Folk-Passagen – und finde es ansonsten mindestens genau so stark wie den Vorgänger.
      Es stellt sich wohl wirklich schlicht die Frage, inwieweit man damit klarkommt, ein so langes Album ohne klare Highlights zu hören (wobei ich selbst sogar ein paar Höhepunkte im Kopf habe).
      Vielleicht kann dich dieses Album hier nach ein paar Durchläufen ja doch noch mehr überzeugen als die Platten davor.
      Wie denkst du demgegenüber über Helrunar?
      So oder so, man muss es ja nicht mögen. Und ich finde es sehr erfreulich, dass du deine Kritik so maßvoll formulierst. Vielfach stößt man in den Kommentaren leider nur auf völlig unkritischen Zuspruch oder extreme, unsachliche Ablehnung – da ist es schön, auch mal eine andere, aber trotzdem sachliche Meinung zu lesen. :)

      1. Helrunar mag ich an sich ganz gerne. Deren Alben besitzen deutlich mehr Höhepunkte, auch wenn die letzte, die mich vollends begeistern konnte das Sol-Doppel war. Niederkunfft war interessant, weil sich Helrunar dort einem Thema widmen, was ich sehr spannend finde, ging musikalisch aber einen recht anderen Weg. Vanitas Vanitatvm korrigiert die Ausrichtung wieder etwas, ging bei mir aber auch eher vorbei.
        Beide Bands kommen mir manchmal etwas verkopft bzw. konstruiert vor. Ich würde mir hin und wieder ein bisschen mehr Lockerheit wünschen.

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