Zu aller erst sollte der gewillte Leser über ARKONA wissen, dass sie rein gar nichts mit der gleichnamigen, ebenfalls russischen Band zu tun haben, die im Jahr 2003 gegründet wurde und NSBM spielt. Diese Möchtegern-Metaller, die ihre Birne wohl zu lange in Weichspüler eingelegt hatten, mussten ihren Namen aber glücklicherweise ändern und so bleibt das Feld den einzig wahren ARKONA: gegründet 2002 in Moskau, spielen die Mannen um Frontfrau Maria Mascha „Scream“ Arichipowa eine eindrucksvolle Mischung aus Pagan- und Folk Metal, auch wenn die musikalische Seite des letzteren überwiegt. „Ot Serdca K Nebu“ ist nicht nur ihr mittlerweile viertes Studioalbum (ein Live-Album erschien 2006) sondern auch das Label-Debüt bei den Österreichern von Napalm Records, die die Scheibe in leicht abgeänderter Form beinahe ein Jahr nach dem Release in Russland Form veröffentlichen. Übersetzt bedeutet der Titel soviel wie „Vom Herz zum Himmel“. Was aber können wir uns von diesem einstündigen Folk-Werk versprechen?
Die Frage lässt sich ohne Weiteres schon nach dem ersten Durchgang mit reinem Gewissen beantworten: feinsten Folk Metal, der sich in dieser Perfektion derzeit nur sehr schwer finden lässt. Schon die Melodiegewalt auf „Pokrovy Nebesnogo Startsa“ weiß voll und ganz zu überzeugen, der sprunghafte Wechsel von harmonisch-ruhigen, zu kraft- und gewaltvollen Passagen wirkt frisch und lebendig. Das an sich ist ja nun nichts unbedingt Neues, ARKONA schaffen es jedoch, derart viel Herzblut in vermeintliche Kleinigkeiten zu stecken, dass einem als Redakteur ganz anders wird. Nicht zuletzt trägt hierzu auch die verdammt wandlungsfähige Stimme der Sängerin bei. Von Growls, die Arch Enemy-Sängerin Angela Gossow in den dunkelste Schatten stellen können, bis hin zum klaren Gesang – der nicht weniger eindrucksvoll ist – steckt Arichipowa alles ab. Selbstverständlich könnte man argumentieren, dass sie hin und wieder von Background-Sängerinnen unterstützt wird – aber mal ehrlich: können diese zwei, drei Momente über eine kraftvolle Stimme, die einem das Blut in den Adern gefrieren und im nächsten Augenblick wieder voller Leidenschaft kochen lässt, einen negativen Eindruck hinterlassen? Wer hier mit „Ja!“ antwortet darf gerne einen Ohrenarzt kontaktieren, Nummern lassen sich in den Gelben Seiten finden.
Um wieder auf den tugendhaften Pfad der Ernsthaftigkeit zurückzukehren: auf „Ot Serdca K Nebu“ passt einfach alles. Egal, ob sich der Hörer bei „Slava Kupala!!!“ stellenweise an ein Kinderlied erinnert fühlt, oder gespannt Instrumental-Nummern wie „Gutsulka“ lauscht – überall ist diese pure Leidenschaft und Energie präsent, lässt sich weder unterdrücken noch einfach verdrängen, wenn man sich selbst erlaubt, dieser Stimmung nachzugeben und sich von ihr treiben zu lassen. So ist es auch reine Auslegungs- und Geschmackssache, wo jeder Einzelne sein eigenes, persönliches Highlight auf der Scheibe sieht. Während es für den einen mit Sicherheit die hoch-melodischen Flöten- und Gesangsparts auf dem Titelsong „Ot Serdca K Nebu“ sind, erlebt der andere bei den – schlicht und ergreifend – genialen Stücken „Oh, Pechal‘-Tolska“ und „Strela“ einen akustischen Orgasmus der Superlative.
Wer sich nun fragt: „Melodische Exzellenz schön und gut – aber wo bleibt der Metal dabei?“ wird angehalten, ein Ohr in „Nad Propastyu Let“, „Kupala I Kostroma“ oder „Katitsya Kolo“ (welcher gleichzeitig der längste Track der gesamten CD ist) zu riskieren. Aber dem aufmerksamen Metaller wird auffallen: die meisten Songs beherbergen nicht nur, schon angesprochene, ruhigere Parts, sondern beinhalten den schon angesprochenen Wechsel zur härteren Gangart.
Diese – ich komme in die große Versuchung „in dieser Weise einzigartige“ zu sagen – Symbiose aus metallischer Härte, melodiöser Schönheit und Lieblichkeit und Verwendung verschiedenster Instrumente aus der russischen Folklore beflügelt meine Seele und lässt mich fragen, warum diese Band noch derart unbekannt ist. Der Folk Metal-Markt wird Tag für Tag von so vielen unbedeutenden Bands überschwemmt, die auf dieser Welle mitschwimmen und ihren Profit machen wollen – Perlen wie ARKONA gehen dabei, leider, leicht unter und brauchen die Unterstützung von einem Label wie Napalm Records, die sie nun in Form der Österreicher bekommen haben. Eine letzte Frage stellt sich noch: die der Bewertung.
Wie also sollte die Wertung für eine Scheibe ausfallen, die ich, ohne Bedenken, zu den Meilensteinen des Folk Metal stellen würde, deren Schönheit und Perfektion schlichtweg unglaublich sind und deren gleichzeitige Unterschiedlichkeit und doch vorhandene Vertrautheit von Song zu Song atemberaubend ist? Welche Wertung wird fünf so passionierten, jungen Musikern, die ihr Herz in die Band stecken, gerecht? Die einzig logische Folge ist die Höchstpunktzahl, die ARKONA hiermit für „Ot Serdca K Nebu“ verliehen bekommen.
Wertung: 10 / 10