Nach den Ereignissen der letzten zwei Jahre haben sich viele Neue-Deutsche-Härte-Fans (zurecht) von den Vorreitern des Genres, Rammstein, abgewendet. Und für viele Fans hat sich damit eine Lücke aufgetan, die bisher nur unzureichend gefüllt werden konnte. Hierfür wäre die ARBEITSGRUPPE LOBOTOMIE ein geeigneter Kandidat – eine eher linksgerichtete politische Attitüde vorausgesetzt. Mit „Etikettenschwindel“ hat die Band aus München ihr inzwischen drittes Album veröffentlicht – auf dem wirklich alle ihr Fett wegbekommen.
Wer sich die Social-Media-Kanäle der ARBEITSGRUPPE LOBOTOMIE (die sich selbst übrigens als „Musikkapelle und Künstlerkollektiv“ bezeichnet) anschaut, könnte auf den ersten Blick abgeschreckt sein: Frakturschrift und Sepiatöne dominieren den Bildschirm, ansonsten blitzt auch mal die eine oder andere Uniform, ein Stahlhelm, aber auch eine Menge anderer Kostüme sowie, Industrial-typisch, ein gesundes Maß an Lack und Leder auf. Wer die Truppe jetzt aufgrund der kokettierenden Ästhetik in die rechte Ecke schubsen möchte, liegt allerdings völlig falsch. Hier lohnt sich die genauere Betrachtung der Songtexte.
Was gefällt: Alle Texte sind vollständig im liebevoll gestalteten Booklet abgedruckt, inklusive Begleittext, der zur Einordnung dient. Diese ist nicht per se nötig, allerdings ist es denkbar, dass der/die eine oder andere Zuhörer*in die eine oder andere Zeile in den falschen Hals bekommen könnte. Denn die ARBEITSGRUPPE LOBOTOMIE nimmt kein Blatt vor den Mund und die Band hält der Gesell- bzw. Zuhörerschaft ohne jegliche Zurückhaltung den Spiegel vor – und das durchaus mit erhobenem Zeigefinger.
So geht es in „Störfunk“ um soziale Medien („Du bist in deiner Blase ob Konsum oder Sozial, das aktuelle Weltgeschehen lässt Du nicht an dich ran, packst dich nicht bei der Nase, denn du bist genial, das wäre dir zu unbequem auf der Datenautobahn“) und in der ausgesprochen gelungenen Ohrwurm-Single „Verarscht“ um den in unserer Zeit sehr dehnbaren Begriff „Wahrheit“ („Mit harter Arbeit gutes Geld – verarscht, es ist eine gerechte Welt – verarscht, die Deutsche Bahn ist wieder pünktlich – verarscht, das Gesundheitssystem ist wieder menschlich – verarscht“), während „Nazis raus“ für sich selbst spricht (und dabei gar nicht mal so stumpf klingt, wie man anhand des Titels vermuten könnte). Dass die eine oder andere Songpassage auf „Etikettenschwindel“ etwas holprig daherkommt (siehe „Marionettentheater“) ist dabei verzeihbar.
Musikalisch erfindet die ARBEITSGRUPPE LOBOTOMIE das Rad absolut nicht neu. Elektronische Beats und Synths, unterstützt durch typische Industrial-Gitarrenriffs, dominieren das Klangbild. Das Ganze klingt dann eher steril quantisiert wie Rammstein und nicht so punkig-rotzig wie z. B. die Frühwerke von Oomph!. Extreme Varianz im Songwriting sucht man vergeblich, andererseits hat man die bei Rammstein oder auch vielen Punkbands auch nie vermisst. Alleinstellungsmerkmal ist allerdings der Gesang: Während Frontmann Bakunin Eisner mehr als nur ein bisschen nach Lindemann klingt, verleiht Sängerin Luna Tick den Songs erfolgreich eine eigene Note und damit Wiedererkennungswert. Produktionell ist „Etikettenschwindel“ recht druckvoll und sauber, kommt aber an Rammstein nicht ran – was jetzt auch nicht weiter überraschend ist, liegen zwischen beiden Bands doch Welten in Sachen Produktionsbudget.
Was außerdem gefällt: Die DIY-Attitüde und Detailverliebtheit der Band, egal ob es um die Präsentation des Albums, die zugehörigen Videos, die Internetpräsenzen oder die Live-Shows geht. Ernsthaft: Jede*r, der/die die Chance hat, die ARBEITSGRUPPE LOBOTOMIE live zu erleben, sollte dies unbedingt tun. Thematisch passende Kostüme zu jedem Song, unterstützt durch diverse Requisiten, machen das Live-Erlebnis beinahe zu einer Kleinkunst-Satire-Show, die für eine Band in dieser Größenordnung mehr als bemerkenswert ist – hier kommt der Aspekt des bereits erwähnten „Künstlerkollektivs“ zum Tragen, inklusive Ballerina auf der Bühne. Das Albumartwork ist auch einfach fantastisch und parodiert z.B. erfolgreich die aktuelle Bundeswehr-Werbekampagne, RAF-Steckbriefe und diverse historische Momente der Menschheitsgeschichte in Form von Fotomontagen, in denen die Musiker ins Originalbild gesetzt wurden.
Wer sich im politischen Spektrum eher links der Mitte verortet und Rammstein den Rücken gekehrt hat, sollte der ARBEITSGRUPPE LOBOTOMIE unbedingt eine Chance geben. „Etikettenschwindel“ ist ein durch und durch cooles Album geworden, welches diverse Missstände in der Gesellschaft mit Nachdruck, aber auch (schwarzem) Humor adressiert. Nicht nur in Anbetracht des politischen Klimas und der anstehenden Bundestagswahl in Deutschland ein Album, das mehr Gehör finden sollte.
Wertung: 8 / 10
Guter Beitrag :)
Bin schon seid den ersten Tagen AGL Fan obwohl ich komplett genrefremd bin,
alleine die Shows sind der Wahnsinn.
Pure Energie, eine eigene Welt mit Requisiten und Kostümen + Mega Sound!
Man kann Sie mögen oder nicht aber Sie liefern durchweg Qualität
Grüße an alle die das lesen aus Monnem