ANYONE’S DAUGHTER gehörten in den Siebzigern und Achtzigern zur ersten Garde der deutschen Artrock-Bands. Auf ihrem dritten Album aus dem Jahre 1981 vertonten sie das Märchen „Piktors Verwandlungen“, das 1922 von Hermann Hesse geschrieben wurde. Mit dem vorliegenden Re-Release dieses Albums ist es nach langer Zeit endlich wieder zu einem vernünftigen Preis zu haben und kommt zudem mit deutlich verbessertem, da remastertem, Klang daher.
Im Prinzip handelt es sich bei diesem Werk um einen einzigen langen, 36-minütigen Track. Dennoch lassen sich die einzelnen Passagen getrennt anwählen, womit sich der Hörer hervorragend auf dem Album orientieren kann. Dies ist auch nötig, denn „Piktors Verwandlungen“ lebt vom ständigen Wechsel der ruhigen, nur mit lyrischer Gitarre unterlegten Erzählpassagen und vielen instrumentalen Zwischenspielen. Dabei enthält lediglich das abschließende Teilstück „Der Doppelstern“ Gesang, sodass Sänger Harald Bareth auf der Platte hauptsächlich als Erzähler auftritt.
Die Musik ist klar im Retroprog verwurzelt und erinnert zeitweise stark an die frühen Genesis oder flottere Camel. ANYONE’S DAUGHTER haben dabei für die Vertonung des verträumten Märchens genauso passende, romantische und melodiegetränke Musik komponiert. Die hier festgehaltene Aufnahme entstand live am 18. Januar 1981, als die Band in Heidenheim auftrat. „Damals kamen zwischen 2000 und 3000 Zuschauer pro Konzert“, heißt es im Booklet der Scheibe. Umso erstaunlicher ist es, dass erst ganz am Ende des Mitschnitts überhaupt Publikum und tosender Applaus zu vernehmen ist. Während der Aufführung des Stückes müssen die Leute so gebannt vom Gehörten gewesen sein, dass sie nur fasziniert zugeschaut haben. Bis zu dieser Aufnahme hatte das deutsche Quartett „Piktors Verwandlungen“ bereits 250 mal aufgeführt – es war ein fester Bestandteil jedes Konzertabends.
In Hesses Märchen geht es um Veränderung, Selbstfindung, Liebe und den Sinn des Lebens. „Die Geschichte berührt dich unweigerlich, vor allem wenn du zwischen 14 und 25 bist“, erzählt Sänger Harald Bareth. ANYONE’S DAUGHTER haben das Kunststück geschafft, dieses Werk weder zu entstellen, noch mit Kitsch zu beladen. Sie haben es zeitlos, wunderschön und ergreifend interpretiert. Ohne Frage: „Piktors Verwandlungen“ sollte jeder Artrock-Fan in seiner Plattensammlung oder zumindest einmal gehört haben. Ein Klassiker, der seine ganze Pracht nur in Gänze entfaltet.
Übrigens: Die Wiederveröffentlichung enthält als Bonus das 26-minütige Studiodemo zu „Piktors Verwandlungen“, dass einige Jahre vor dieser Live-Aufnahme entstand. Anhand der deutlichen Unterschiede zur Live-Version lässt sich schön die Entwicklung des Stückes nachvollziehen. Die ersten 2000 Pressungen kommen im Pappschuber und enthalten einen Nachdruck des 1981er Konzertposters. Ein schönes Fan-Gimmick!
Wertung: 9.5 / 10