ANGRA haben ein paar turbulente Jahre hinter sich. Seitdem die Band sich 2010 von ihrem langjährigen Sänger Eduardo Falaschi getrennt hatte, hielt sie sich erst mit einem Best-of, dann mit einem Live-Album über Wasser. Jetzt, vier Jahre später, hat sich die Lage gebessert: Mit Fabio Lione wurde ein talentierter Ersatz gefunden und auch der zwischenzeitlich vakant gewordene Stuhl am Schlagzeug konnte neu besetzt werden. Der ideale Zeitpunkt für ein neues Album, möchte man meinen. Vorhang auf für „Secret Garden“.
Und um es gleich vorwegzunehmen: Die Neuzugänge machen sich ganz hervorragend. Fabio Lione ist ein derartig begnadeter Sänger, dass man sich immer wieder vor Bewunderung an die Stirn fassen muss: Rhapsody (of Fire), Vision Divine, seine Vertretungen bei den Touren von Kamelot und später Gamma Ray – das alles gelingt ihm spielend. Genau dasselbe kann man über seinen Leistung auf ANGRAs „Secret Garden“ sagen. Von den hohen Tönen bis hin zu abwechslungsreichen tiefen Passagen singt er alles mit einer solchen Präzision, dass es nichts zu kritisieren gibt. Eine kluge Entscheidung war es auch, dass er seinen Pathoslevel für ANGRA deutlich reduziert hat und insgesamt etwas „normaler“ intoniert, als man es von seinen anderen Bands gewohnt ist.
Zusätzlich zu Fabio Lione haben ANGRA für „Secret Garden“ aber noch drei andere Sänger im Gepäck: Wiederholt greift Bandchef und Gitarrenvirtuose Rafel Bittencourt in den Gesang ein („Crushing Room“, die The-Police-Coverversion „Synchronicity II“), was einen schönen Kontrast zu Fabios Stimme darstellt. Mit Simone Simons („Secret Garden“) und Doro Pesch („Crushing Room“) gibt es zudem zwei Gastsängerinnen, denen Songs auf den Leib geschrieben wurden – Simone Simons bekommt einen astreinen Symphonic-Metal-Song, Doros Nummer dagegen ist hymnischer Heavy Metal.
Und damit sind wir auch bei dem angekommen, was man das Problem von „Secret Garden“ nennen könnte: Das Album weiß nicht so genau, in welche Richtung es eigentlich will. Es möchte die Stärken des neuen Sängers ausspielen. Es möchte den Gastsängerinnen ihren Stil lassen. Es möchte die hardrockige Stimme Rafael Bittencourts angemessen präsentieren (massiver Hammondorgel-Einsatz: „Synchronicity II“). Es möchte die Fans des European Power Metals zufrieden stellen („Black Hearted Soul“, „Perfect Symmetry“). Es möchte mal etwas Neues wagen und versteigt sich zu einer fast sakralen Hymne („Silent Call“). Es möchte seinen alten Elemente nicht vergessen (ganz kurz wieder Flamenco: „Newborn Me“). Und irgendwo auf dem Weg haben ANGRA vergessen, dass das alles am besten auch noch zusammenpassen sollte.
Denn „Secret Garden“ oszilliert zwischen diesen vielen Polen hin und her, ohne ein Zusammenhang stiftendes Element zu haben. Es fehlt die Klammer, die die vielen Ideen verbindet. Und so ist „Secret Garden“ nicht der Paukenschlag geworden, der es angesichts dieser Besetzung hätte werden können. Es ist „nur“ ein gutes Melodic-Metal-Album mit zahlreichen guten, aber keinem wirklich überragenden Song. Die Fans des Genres sollten es dennoch unbedingt antesten – alleine schon wegen der großartigen Gesangsleistungen.
Wertung: 7 / 10