ANGRA dürften die erfolgreichste brasilianische Power-Metal-Band sein, zumindest in internationalen Gefilden. Nimmt man den größten Teil der dort einheimischen Bands sonst gar nicht wahr, schaffen es ANGRA mit jedem Release, auch in Europa und Japan Aufmerksamkeit zu bekommen. Gelingt dies auch mit dem neuen Live-Album „Angels Cry – 20th Anniversary Tour“?
Nachdem die Band sich von ihrem langjährigen Sänger Eduardo Falaschi getrennt hatte, weil er live andauernd unter Stimmproblemen litt, hätte eigentlich längst ein neuer Fronter benannt werden sollen. Zur Überbrückung spendierte die Band uns damals ein passables Best-of, geizte ansonsten aber mit Neuigkeiten. Anstatt den leeren Stuhl neu zu besetzen, begab man sich auch jetzt lieber mit Unterstützung des stimmlichen Multitalentes Fabio Lione (Rhapsody of Fire, Vision Divine) auf Tour, um den 20. Geburtstag des Debütalbums „Angels Cry“ zu feiern. Nun gut. Von dieser Tour wurde der Auftritt in São Paulo mitgeschnitten und vollständig auf „Angels Cry – 20th Anniversary Tour“ gebannt.
ANGRA beschränkten sich bei der Tour aber nicht darauf, ihr Album einfach von A-Z herunterzuspielen. Zwar finden sich viele der Songs in der Setlist, aber weder wurden alle gespielt (besonders die langen nicht), noch wurde die Reihenfolge eingehalten. Stattdessen haben ANGRA auf „Angels Cry – 20th Anniversary Tour“ eine ganze Reihe von Songs ganz im Akustikgewand präsentiert („Reaching Horizons“, „A Monster In Her Eyes“). Besonders aber lebt das Konzert von den vielen Gaststars. So hat nicht nur die fünfköpfige Jazz-Classic-Kombo Familia Lima ihren Weg auf die Bühne und die CD gefunden, sondern auch die in Europa bekannteren Stars Uli Jon Roth (Ex-Scorpions) und Tarja Turunen (Ex-Nightwish). Besonders Tarja verewigt sich auf dem Album mit einer hervorragenden Leistung im Kate-Bush-Cover „Wuthering Heights“ – André Matos hätte es nicht besser gekonnt.
Die Performance von ANGRAs Stammmusikern kann sich nicht weniger sehen lassen. Fabio Lione, der im Vertreten ja schon Erfahrung bei Kamelot sammeln konnte, stellt sich hervorragend auf den ANGRA-Sound ein und erreicht sogar bei den Schreien und Verzerrungen im Gesang, die für ANGRA typisch sind, respektable Leistungen („Evil Warning“, „Time“). Aber auch die restliche musikalische Performance auf „Angels Cry – 20th Anniversary Tour“ ist gelungen, besonders die immer wieder eingestreuten Gitarrenriffs im Stil von Led Zeppelin machen Spaß.
Der Sound hingegen wird sicher polarisieren. Er ist zwar authentisch live abgemischt, klingt aber oft sehr dünn. Sicher ist das eine ehrliche Mischung, aber man muss sich als Hörer erst darauf einstellen, so wenig Volumen zu hören zu bekommen. Wer damit leben kann und ein abwechslungsreiches Live-Album mit tollen Gaststars hören möchte, kann hier nichts falsch machen. Ansonsten möchte man ANGRA aber zurufen: Danke, das war fein, aber jetzt kommt bitte mal wieder mit dem regulären Bandleben zur Sache!
Wertung: 8 / 10