Review Anathema – The Optimist

ANATHEMA waren schon immer für Überraschungen gut. Nach ihrer insbesondere in Metal-Kreisen hoch angesehenen Death/Doom-Frühphase wandten sich die Briten, angeführt von den Gebrüdern Cavanagh, schrittweise dem Gothic Metal, dem Alternative Rock und schließlich dem Progressive Rock zu. Obwohl die Fans des schwer zu kategorisierenden Sextetts also daran gewöhnt sein sollten, das Unerwartete zu erwarten, hat wohl keiner kommen sehen, dass ANATHEMA ihrem umstrittenen 2001er Album „A Fine Day To Exit“ mit ihrer elften Platte „The Optimist“ eine semi-autobiographische Fortsetzung verpassen würden. Doch nicht nur konzeptionell, auch stilistisch haben sich die Ausnahmemusiker wieder einiges Interessantes einfallen lassen.

Großartig experimentell wirkt die Platte anfangs nicht, denn nach der Einleitung in Form von Meeresrauschen, Autogeräuschen und einem verzerrten Radio auf „32.63N 117.14W“ liefern ANATHEMA mit dem flotten „Leaving It Behind“ einen Vorzeigesong aus ihrem selbstgemalten Bilderbuch ab. Immer mehr steigern sich die flinken Beats und Drums, die dezent melancholischen Gitarren und die emotionalen Vocals zu einem Wirbelwind der Gefühle, dem man sich einfach nicht erwehren kann. Crescendos wie dieses gehören schon lange zu den Trademarks von ANATHEMA, dennoch fällt hier insbesondere im Vergleich zum Vorgänger „Distant Satellites“ auf, dass die Briten nicht länger versuchen, sich selbst zu übertrumpfen, sondern den jeweiligen Song genau dann wieder abebben lassen, wenn er sein Ziel erreicht hat.
Dass die Kompositionen geradezu formvollendet sind, kommt „The Optimist“ aufgrund seines Charakters als Konzeptalbum umso mehr zugute. Natürlich muss man auch den für ANATHEMA typischen Facetten- und Gefühlsreichtum nicht missen. Sanfte, vom Piano geprägte Nummern wie der anschmiegsame Titeltrack und fetzigere Songs wie das leichtfüßige „Can’t Let Go“ mit seinen verträumten, aber keinesfalls verschlafenen Vocals, Gitarren und Keyboards sind gleichermaßen Stationen auf der Reise durch das Innenleben des zuversichtlichen Protagonisten, der am Ende von „A Find Day To Exit“ verschwunden war.
Mit „The Optimist“ haben ANATHEMA also gewissermaßen den Soundtrack zur erzählten Geschichte kreiert, was durch die verschiedenen Samples und die an Filmmusik erinnernden Streicher, die vor dem inneren Auge das Bild eines Ozeans bei Nacht erzeugen, verdeutlicht wird – so zum Beispiel im sehnsüchtigen „Ghosts“. Sehr stimmungsvoll sind auch die gelegentlichen Post-Rock-Gitarren, die in „Springfield“ beispielsweise zu einem absolut intensiven Tremolo anschwellen, sowie die dezenten Electro-Sounds, die hier wesentlich gleichmäßiger in die Arrangements eingearbeitet wurden als noch auf dem Vorgänger.

Eigentlich hätte es beinahe jeder Track auf „The Optimist“ verdient, genau beschrieben zu werden, wie auch die jedes Mal aufs neue verzaubernden, zwischen Melancholie und Hoffnung schwankenden Gesänge von Vincent Cavanagh und Lee Douglas, doch das würde wohl den Rahmen sprengen. Und wenn ANATHEMA schon so ein dynamisches, in sich geschlossenes und nie zu dick auftragendes Konzeptalbum veröffentlichen, dann sollte sich wohl auch die entsprechende Rezension in Grenzen halten. Es bleibt also nur noch zu sagen, dass ANATHEMA abermals unter Beweis gestellt haben, dass sie sich meisterhaft darauf verstehen, Gefühle in Musik zu bannen. Ein Muss für jeden Fan!

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Wertung: 8.5 / 10

Publiziert am von Stephan Rajchl

7 Kommentare zu “Anathema – The Optimist

  1. Sooo, nach einigen Durchläufen, ziemlich vielen sogar, will ich auch mal meine Meinung zum Besten geben :) Ich kann mich der Einschätzung von Simon weitgehend anschließen, der Vorgänger gefiel mir ja überhaupt nicht, der Link in der Review deutet ein wenig darauf hin ;) Dafür ist „Weather Systems“ neben „Eternity“ für mich das beste Album der Band. Und genau dazwischen würde ich „The Optimist“ auch tatsächlich ansiedeln, der leichtfüßige, balladeske Grundtenor gefällt mir ebenso wie das Bestreben, wieder mehr auf Eingängigkeit zu setzen, auch wenn sich dies erst nach einer gewissen Durchlaufzahl herauskristallisiert. Es bleibt dabei, was sich in den letzten Jahren, fast müsste man Jahrzehnte sagen, angedeutet und entwickelt hat: Anathema ist immer dann am besten, wenn es ins seichte Fahrwasser geht. Solche Bands gibt es einfach, Alcest würde ich dazu zählen, vielleicht sogar Hypocrisy, auch wenn sie primär nicht aus der stillen Ecke kommen. „The Optimist“ ist immer dann richtig geil, wenn Lee ans Mikro schreitet, die Stimme ist einfach so unglaublich wunderbar <3
    Etwas zu schaffen machen mir ein paar (zu) komplizierte Arrangements, da war "Weather Systems" eben noch ein gutes Stück zugänglicher, da fand ich insgesamt die Duette auch besser. Aber schlecht ist "The Optimist" eben auch nicht, bei 8.5 würde ich nicht ganz mitgehen, aber so 7/7.5 sind aus meiner Sicht angebracht. Dennoch möchte ich anmerken, dass die Review ansonsten gut ist ;) Die wesentlichen Dinge sehe ich ähnlich, man bekommt ebenso ein gutes Bild der CD vermittelt und da macht die leichte Punkte-Divergenz auch nichts aus ;)

  2. Ich finde das Album sehr stark. Mit „Endless Ways“ und „San Francisco“ sind für mich zwei absolute Gänsehaut-Songs dabei. Beides Anwärter für den Song des Jahres. Auf Albumdistanz gibt es für mich kaum eine Platte der Band, die ähnlich gut funktioniert – am ehesten noch „Weather Systems“ und „Hindsight“. Ich hatte bei Anathema bisher meist das Problem, dass mir die Musik für eine ganze Scheibe einfach zu zäh und repetitiv war; das ist dieses Mal anders. Lediglich bei „Wildfires“ und „Back To The Start“ fällt man meiner Meinung nach wieder etwas in alte Muster zurück, sodass die Spannung am Ende ganz leicht abfällt.

    1. Ich denke, wir sind diesbezüglich wirklich ein und derselben Meinung. Ich hatte eben auch das Problem, dass mir viele einzelne Songs von Anathema zusagen, aber fast nie ein ganzes Album. Das ist hier einfach anders. Und ja, auch ich finde, dass die letzten beiden Songs ein bisschen abfallen, wobei ich „Wildfires“ noch etwas abgewinnen kann, da er halt schon irgendwo sehr atmosphärisch und düster ist. Aber trotz dieser beiden letzten Songs funktioniert das Album als Ganzes einfach so gut für mich, dass ich nicht lange überlegen musste, welche Wertung es bekommt.

  3. Finde es auch gelungen. Nicht so stark wie „Weather Systems“, aber wieder ein Stück besser als Distant Satellites. Starke Melodien, sehr emotional, schön arrangiert. Einzig die letzten zwei Tracks sind recht zäh und hätt’s nicht mehr gebraucht.
    „Leaving It Behind“, „Can’t Let Go“ und „Endless Ways“ sind dafür aber halt echt richtig stark.

    Mit ihren früheren Sachen kann ich auch vergleichsweise eher wenig anfangen. Das von allen so verehrte „Eternity“ z.B. finde ich ziemlich langweilig. Ich bevorzuge ganz klar ihren neuen Stil.

  4. nicht dass ich groß enttäuscht wäre…schon ‘Distant Satellites’ schwächelte stark im Vergleich zu den direkten Vorgängern…aber das hier ist mit Abstand die schwächste Scheibe dieser einst so großen Band.
    2 gute Lieder, 2 Mittelmaß und der Rest entweder schwach oder Totalausfall…
    Ich bin Fan von Anathema seit Ewigkeiten, mag ‘The Silent Enigma’ genauso sehr wie ‘Weather Systems’. Es liegt absolut nicht an der fehlenden Härte, diese braucht kein Mensch bei Anathema. Das Album ist für mich einfach belanglos, nichtssagend und emotional sehr sehr flach

    für mich: 3/10

    1. Hallo, Hypnos!
      Zuerst mal danke für deinen Kommentar – auch wenn unsere Meinungen da offenbar stark divergieren. Ich finde es jedenfalls gut, dass du diesbezüglich sachlich bleibst und nicht einfach empört über meinen Text in die Tasten klopfst. ;)
      Ich finde es interessant, wie sehr da die Meinungen auseinandergehen. Ich beispielsweise kann mit einigen älteren Sachen von Anathema nicht so viel anfangen, während mir die neueren (auch der Vorgänger) mehr zusagen, auch wenn ich die Kritikpunkte verstehen kann.
      Ich bin eigentlich eher vorsichtig an „The Optimist“ herangegangen. Der Vorabsong gefiel mir zwar sehr, aber bei Anathema war das bei mir oft schon ein Auf und Ab. Je mehr ich dann das Album gehört habe, desto mehr war für mich einfach klar, dass ich hier keine Schwachstelle sehe. Die Melodien bleiben mir alle im Kopf, was nur auf wenigen ihrer anderen Alben bisher der Fall war, und ich finde es stilistisch und von den Melodien her einfach rundum gelungen. Dass es emotional ist, braucht man bei Anathema wohl nicht extra dazusagen. ;)
      Aber seis drum, mein Review reicht ja, um meine Meinung darzulegen, und deine Meinung sei dir unbenommen. Bleibt mir nur noch, dir die Daumen zu drücken, dass dir die nächste Platte wieder besser gefällt.

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