Bereits mit ihrem Debutwerk „River Of Tuoni“ konnten AMBERIAN DAWN recht deutlich in den Blickpunkt der Presse und der Metal-Gemeinde treten. Woran das lag? Nun, ich wage zu behaupten, nicht ausschließlich am musikalischen Aspekt. Denn das Album konnte sich nicht nachhaltig vom Eindruck eines durchschnittlichen Nightwish-Klons loslösen. Wahrscheinlich auch nicht am kitschig-schönen Artwork, dass nicht irgendeine schöne nordische Kriegerin zeigte, sondern Sängerin Heidi Parviainen herself.
Es scheint tatsächlich so, dass Label und Promo-Agenturen damals hervorragende Vermarktungsarbeit geleistet haben. Denn die Zahl derer, die AMBERIAN DAWN noch nicht kennen, dürfte in den angestrebten Bereichen des Symphonic Gothic und Symphonic Power Metal eher gering sein.
Etwas mehr als ein Jahr später geht das Zweitwerk der Finnen an den Start. Es hört auf den wohlklingenden Titel „The Clouds Of Northland Thunder“. Mal schauen, ob die Promotion-Maschinerie in 2009 genausogut funktioniert. Oder überzeugt das Album diesmal durch Klasse?
Aber um nochmal kurz auf „River Of Tuoni“ zurückzukommen: AMBERIAN DAWN zeigten schon durchaus Potential, verpassten aber, dieses konsequent im Songwriting umzusetzen. Einige Songs hatten richtig gute Ansätze, wurden aber nicht entsprechend ausgereizt. Eine meist viel zu kurze Spielzeit der Stücke (und auch des gesamten Albums) verhinderten praktisch, dass sich die Kompositionen nachhaltig einprägen konnten. Neben eigenen Ideen hängte den Tracks im Verlauf des Albums auch mehr und mehr der Vorwurf des Nightwish-Plagiat nach.
Wie sieht’s in der Hinsicht anno 2009 aus? Haben AMBERIAN DAWN in der kurzen Zeit an sich arbeiten und diese Mängel abstellen können? Im Großen und Ganzen kann ich sagen: ja.Das Artwork ist dezenter geworden und zeigt diesmal nicht die schöne Heidi, sondern ein Wikingerschild mit dem Emblem der Formation. Auf dieses Schild fällt der Schatten eines Raben. Das Artwork wirkt erwachsener, wie auch das ganze Auftreten von AMBERIAN DAWN auf „The Clouds Of Northland Thunder“. Bei der Albumdauer wurden gegenüber dem Vorgänger 11 Minuten zugelegt, was zumindest mal die Bezeichnung Longplayer rechtfertigt. Der Sound kommt mir allgemein etwas kraftvoller vor. Die Stücke transportieren mehr Power. Der Stil ist schon gleich geblieben und spielt sich an einer Grenze zwischen Gothic und Symphonic Metal ab. Dennoch steckt mehr Pep drin.
Der Vergleich mit Nightwish ist natürlich immer noch präsent. Aber von einem mittelmäßigen Klon der großen Vorbilder, hat man sich inzwischen zu einer Band entwickelt, die auch eigene Trademarks setzen kann. Songs wie „Incubus“ beinhalten noch immer die Einflüsse, die eine Symphonic-Metal-Band mit Soprangesang auch nur schwerlich umschiffen kann. Doch werden die Kompositionen auch mit eigenen Ideen ergänzt, die sich ein ums andere Mal beim Gitarrenspiel herauskristallisieren. Dazu wurde auch der Symphonic-Anteil hochgeschraubt, so dass mein Vergleich teilweise fast eher in Richtung letztes Edenbridge-Album tendiert.
Die Stücke gehen durchweg gut ins Ohr, und der alte Makel, dass sie zu kurz und dadurch nicht ausgereizt sind, wurde ebenfalls ad acta gelegt. Ob jetzt eine kraftvolle Power-Nummer wie das angesprochene „Incubus“, ein melodisch-symphonischer Track wie „Kokko – Eagle Of Fire“ oder das romantisch-emotionale „Willow Of Tears“ – ich lausche den Stücken gerne und kann mich von der harmonischen Atmosphäre und dem Klang von Heidis klarem Organ mittreiben lassen. Mit dem schnellen, großteils von Double-Bass dominierten „Shallow Waters“ haben AMBERIAN DAWN eine astreine Headbanger-Nummer am Start. Ich frage mich, wann ich zum letzten Mal bei einem Nightwish-Song so unwillkürlich den Takt mitgewippt habe. Die genialste Melodie bringt „Son Of Seven Stars“ ins Spiel, und es fehlt auch nicht an leicht progressiven Stücken mit vielschichtigen Konstrukten („Saga“, „Morning Star“). Also präsentiert sich „The Clouds Of Northland Thunder“ auch abwechslungsreich.
Es gibt zwar nicht nur absolute Reißer, aber auch keinen Song, den ich als Ausfall oder deutlichen Leistungsabfall ansehen würde. Gegenüber ihrem Vorgänger haben AMBERIAN DAWN mal so eben um gute 100 Prozent zugelegt. Von einer fast halbherzigen Geschichte haben sich die Finnen tatsächlich zu einem erstzunehmenden Symphonic-Metal-Act entwickelt. Heidis Stimme ist einer der Garanten für die Klasse des Albums. Obwohl sie nur sehr selten die Sopran-Gefilde verlässt, wird ihr Organ niemals aufdringlich. Das zeugt von ihrer Ausdruckskraft, aber beweist auch, dass die musikalische Umgebung passt und dass alle Elemente einwandfrei aufeinander abgestimmt sind. Im instrumentellen Bereich habe ich nichts auszusetzen. Alle Musiker tragen ihren Anteil zum Gelingen des Werkes bei. Und die Produktion ist gleichermaßen klar wie kraftvoll, was die Energie der Stücke hervorhebt.
Selbst wer „River Of Tuoni“ sehr kritisch bedachte, sollte AMBERIAN DAWN nochmal eine Chance geben. Denn „The Clouds Of Northland Thunder“ spielt definitiv in einer ganz anderen Liga und sollte alleine durch seine Klasse in den Blickpunkt der Metal-Schar treten können. Und wem die neuen Nightwish nicht mehr gefallen, könnte diese finnischen Nachfolger durchaus als adäquaten Ersatz ansehen.
Wertung: 8.5 / 10