„Mayhem Live In Leipzig“ ist eine Veröffentlichung, die Geschichte geschrieben hat: als einziger Release von Mayhem in der Besetzung mit Dead und Euronymous, vor allem aber als das Black-Metal-Live-Album schlechthin, aufgenommen in Ostdeutschland, wenige Monate nach dem Mauerfall. „Mayhem Live In Leipzig“ ist nun auch der Titel eines Buches: Es geht um Mayhem, besagte Show und das Leben als Metalhead im Ostdeutschland der Wendezeit.
Der Autor, Abo Alsleben, wird als „hedonistischer Lebenskünstler“ vorgestellt, der immer noch Metal hört, in diversen Bands aktiv war/ist und Bücher über seinen Heimatstadtteil Leipzig-Connewitz verfasst. Doch Alslebens eigentliches Verdienst steckt im Untertitel von „Mayhem Live In Leipzig – Wie ich den Black Metal nach Ostdeutschland brachte“: Alsleben ist der Veranstalter, der Mayhem 1990 nach Leipzig brachte. Veranstalter klingt allerdings professioneller, als Alsleben das wohl selbst ausdrücken würde. So ist „Mayhem Live In Leipzig“ als Konzert wie als Buch vom Charme des Dilettantischen geprägt.
Ähnlich persönlich wie Mikis Wesensbitter in seinem lesenswerten Ost-Erinnerungswerk „Wir hatten ja nüscht im Osten … nich’ ma Spaß! Die ganze Wahrheit über ’89“ berichtet auch Alsleben über sein Leben vor und kurz nach der Wende – „frei von der Leber weg aufgeschrieben“, wie es im Vorwort heißt – und dadurch umso lebendiger: Die Jugenderlebnisse als Metalhead in der DDR mit dem Überspielen von Platten und Kaufen von Bandfotos, Basteln von Metal-Accessoires und Feiern auf Undergroundkonzerten werden genauso nachvollziehbar wie die „Nachteile“ der Wende: Der „Reiz des Verbotenen [war] dahin, ebenso wie die Freude über seltene Platten und der Anreiz zum Selbermachen. Dem Kommerz konnte man eigentlich nur in der Underground-Szene entfliehen“. Aus deren Untiefen heraus entwickelt sich eine Brieffreundschaft zwischen Alsleben und dem Norweger Euronymous, Gitarrist der damals aufstrebenden Mayhem, aus der heraus schlussendlich die Idee erwächst, dass Alsleben Konzerte für Mayhem in Ostdeutschland organisieren könnte.
Die Briefe von Euronymous sind – neben einigen Livefotos der Tour – tatsächlich das Highlight des Buches: Als Scan des Originals sowie in deutscher Übersetzung abgedruckt, bieten diese tiefe Einblicke in die Gedanken des jungen Euronymous alias Øystein Aarseth: seine kommunistische Weltsicht („I have to admit that I’m very much into left wing ideas“), seine Sicht auf die Metal-Szene und natürlich seine Ideen mit Mayhem und Deathlike Silence Productions. Dass die Antworten von Alsleben – logischerweise – fehlen, stört überraschend wenig, stehen die Briefe doch zumeist für sich allein. Zwar zitiert Alsleben auch immer wieder aus den Briefen, diese vorweg am Stück zu lesen, ist dennoch lohnenswert. Die dokumentierte Brieffreundschaft endet nach elf Briefen mit den Details zu den drei Shows in Anaberg Buchholz, Bergisdorf/Zeitz und Leipzig, deren Verlauf Abo Alsleben aus seinen Erinnerungen wiedergibt.
Diesbezüglich wirkt Alslebens „flapsige Schreibe“, die sich oft nach mitgeschriebener Erzählung liest, so „unprofessionell“ wie sympathisch – und passt damit perfekt zu der Art, wie damals auch die Shows organisiert (und gespielt) wurden. Vielleicht punktet „Mayhem Live In Leipzig: Wie ich den Black Metal nach Ostdeutschland brachte“ deswegen nicht unbedingt sprachlich – dafür aber mit Authentizität. Schwierig wird es erst, als Alsleben über die psychischen Probleme von Dead sinniert und sich in Erklärungsversuche für dessen Selbstmord versteigt: Diese Form der Hobbypsychologie ist beim Thema Depression grundsätzlich unangebracht.
Sieht man davon ab, sind Abo Alslebens „Mayhem-Memoiren“ ein lebhafter Rückblick auf die Ankunft des Black Metal in der Ex-DDR, der vor allem von den berichteten Situationen und Trivialitäten lebt. Ergänzt um nie zuvor publizierte Zeitdokumente wie Fotos und Briefe ist „Wie ich den Black Metal nach Ostdeutschland brachte“ für alle Black-Metal-Fans (auch und gerade aus den neuen Bundesländern) und insbesondere für alle Mayhem-Fans seine 20 € wert. Nicht zuletzt, weil die hier belegte Begeisterung von Euronymous, einem der Gründungsväter des Black-Metal-Mythos, für linke Ideen einmal mehr deutlich macht, wie schwachsinnig es ist, rechte Umtriebe in der Szene als „naturgegeben“ zu tolerieren.
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