Review Abraham – Look, Here Comes The Dark!

Als Monolith bezeichnet man einen (üblicherweise eher unhandlichen) Gesteinsblock, der aus ein- und demselben Gestein besteht. Und „Monolith“ ist das erste Wort, das mir nach den ersten Durchläufen von „Look, Here Comes The Dark!“, dem aktuellen ABRAHAM-Longplayer, einfällt. Fast zwei Stunden Musik, verteilt auf zwei CDs (oder vier LPs) präsentieren die Schweizer Post-Metaller und wer sich fragt, ob das eventuell etwas langweilig werden könnte: Nein, wird es nicht. Das liegt in erster Linie daran, dass das Werk ein Konzeptalbum und in vier Teile gegliedert ist, welche mitunter recht unterschiedliche musikalische Schwerpunkte setzen. Gleichzeitig wird noch eine fortlaufende, wunderbar dystopische Geschichte erzählt – was will man mehr.

Aber der Reihe nach: der erste Teil heißt „Anthropocene“, nach der mittlerweile angebrochenen geochronologischen Epoche, in der der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf unserem Planeten geworden ist. Entsprechend geht es um das Hier und Jetzt. Oder auch: wie die Menschheit dabei ist, Mutter Erde und sich selbst den Garaus zu machen. Der Opener „I Ride The Last Sunrise“ irritiert im ersten Moment aufgrund seines latent disharmonischen Cleangesangs ein wenig, aber dafür wird man beim nächsten Track „Wonderful World“ (welcher eigentlich der bessere Opener gewesen wäre) entschädigt: eine klassische Post-Metal-Walze mit geshouteten, sich bisweilen überschlagenden Vocals. Man fühlt sich musikalisch sofort an Artgenossen wie Cult Of Luna erinnert, wozu auch die Produktion von Magnus Lindberg ihren Teil zu beitragen dürfte. Gegen Ende des ersten Kapitels, dem vierten Track der Platte, werden auch die elektronischen Elemente in Form des explizit im Booklet genannten Moog Synthesizers präsenter.

Im zweiten Teil „Phytocene“ versucht Mutter Natur, den Planeten zurückzugewinnen. Die Einleitung ist ein Instrumental mit Interlude-Charakter, irgendwie Drone-artig und aus einem nicht näher definierbaren Grund muss ich an die Würzburger von Phantom Winter denken – es muss wohl an der Atmosphäre liegen, die sich wie ein schwerer bleierner Umhang durch das komplette Album zieht. In diesem Kapitel verlassen wir auch immer wieder den Post-Metal-Mikrokosmos und wenden uns durchaus verwandten Genres zu: sei es Doom oder Black Metal (Screams bei „Silent At Last“, Blastbeats bei „Rise, Goddess“) oder auch ein bisschen Sludge und Neurosis-Schlagseite wie in „Dead Cities“. Tempo- und arrangementtechnisch zeigen sich ABRAHAM dabei sehr variabel, das Drumming macht einen nicht unwesentlichen Teil der Charakteristika der einzelnen Kapitel aus. Das ist umso bemerkenswerter, da Schlagzeuger Thomas Schlagmeister die cleanen Vocalparts übernimmt, während der böse Cop vom growlenden, keifenden und brüllenden Frontmann Olivier Haehnel gemimt wird.

„Mycocnee“, der dritte Teil von „Look, Here Comes The Dark!“ handelt von einem intelligenten (aber nicht psychoaktiven) Pilz, der der Menschheit den Rest geben will. Vielmehr liegt es an der etwas experimentelleren Seite, die die Band hier offenbart: Jazzig anmutenden Schlagzeugarbeit und Harmonien, ausladende Instrumentalpassagen, sogar das eine oder andere Basssolo und ein Rhodes Piano finden hier ihren Platz. „Sanctuaire“ ist mit seinem hypnotischen Gitarrenriff und Ohrwurmchorus ein echtes Highlight, bei „Urnacht“ braucht es einen Moment, um zu erkennen, dass der Text auf Schwiizerdütsch (= Schweizerdeutsch) intoniert wird und „Vulvaire“ ist ein fettes, grooviges Post-Metal-Brett im besten Sinne und ebenfalls ein Höhepunkt des Albums.

Das letzte Viertel der Geschichte heißt „Oryktocene“ und bildet den Abschluß der Saga: Die Menschheit hat den Kampf gegen Mutter Natur verloren und sucht ihr Heil in den unendlichen Weiten des Alls. Das gut neun Minuten lange „Wind“ kommt sehr doomig und sludgig daher, diesmal mit einem fast orgelartigen Synthesizersound. „Erth“ unterstreicht den Sludge-Charakter abermals und man fühlt sich auch hier wieder an die Urväter des Genres, Neurosis, erinnert. Das Album mündet schließlich in den längsten Track der Platte, „Space / Departure“. Der Name ist Programm: Die sich offensiv rhythmisch modulierenden Synths und Sequenzen wecken klassische Science Fiction Assoziationen (vielleicht soetwas wie die Soundkulisse zu den „Startvorbereitungen“?). Somit klingt das Ganze recht technisch, eine Facette, die wir hier so das erste Mal hören. Die Gitarren- und Vocalarbeit erinnert ein weiteres Mal an Cult Of Luna oder auch Isis und der Song endet schließlich in einer Kakophonie, einer verzerrten Wolke bestehend aus so ziemlich dem kompletten Instrumentarium der Band. Die Vermutung liegt nahe, dass es für die Menschheit vielleicht kein Licht am Ende des Tunnels, kein Happy End gibt.

Puh, geschafft. Das war anstrengend, hat aber trotzdem Spaß gemacht. ABRAHAM haben mit „Look, Here Comes The Dark!“ einen großen Schritt in eine möglicherweise glorreiche Zukunft gemacht und ein Post-Metal-Konzeptalbum erschaffen, welches seinesgleichen sucht. Progressiv (sicher nicht im Steven-Wilson-Sinne), fordernd, definitiv nicht leicht bekömmlich, aber immer wieder mit dezent gestreuten melodischen Lichtblicken. Diejenigen, die Isis immer noch nachtrauern, sich von Cult Of Luna mehr Output wünschen und The Ocean etwas abgewinnen können, sei das Album wärmstens ans Herz gelegt – aber man sollte ruhig ein bisschen Zeit mitbringen, um es vollständig zu begreifen.

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Wertung: 8.5 / 10

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