Konzertbericht: Within Temptation w/ Annisokay, Blind8

19.10.2024 München, Zenith

Mit „Bleed Out“ haben WITHIN TEMPTATION 2023 ein ungeheuer starkes Album vorgelegt. Im Gegensatz zu vielen anderen Symphonic-Metal-Bands, die Anfang der 2000er-Jahre ihre Karrierehöhepunkte feierten, haben es die Niederländer geschafft, nicht nur musikalisch am Puls der Zeit zu bleiben: Mit Sharon den Adel geben WITHIN TEMPTATION auch vermehrt politischen Themen eine Stimme. Auch bei ihrem Konzert in München geht es längst nicht nur um Entertainment – wennschon WITHIN TEMPTATION auch darin wahre Meister sind.

BLIND8 im Oktober 2024 in MünchenBei BLIND8 ist der Name leider Programm: Durch dichte Nebelschwaden sind die in schlichtem Schwarz gekleideten Musiker nur schemenhaft zu erahnen. Umso irritierender ist der große QR-Code, der unter dem Bandlogo im Hintergrund prangt und alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ein kurzer Check am Smartphone klärt auf, dass es sich um einen Fundraiser handelt: BLIND8 stammen aus der Ukraine und konnten aufgrund von Visa-Problemen erst später als geplant zur Tour dazustoßen. Akustisch haben die Ukrainer anfangs wenig Glück: Der Sound klingt genauso muffelig, wie die Show aussieht. Das bessert sich schnell – was aber auch dringend nötig ist, denn BLIND8 spielen lediglich ein 20-minütiges Set. Geboten wird solider Modern Metal, im Ohr bleibt jedoch wenig. Auch der Gastauftritt von Alex Yarmak, der ebenfalls aus Kiev stammt und mit WITHIN TEMPTATION für „A Fool’s Parade“ kollaboriert hat, für den Song „Overcome the Darkness“ funktioniert mangels Bezug zur Person mehr schlecht als recht. Schlussendlich ist die Wahl für BLIND8 als Vorband vor allem ein politisches Statement der Solidarität mit den Menschen in der Ukraine – rein musikalisch oder auch in Sachen Show haben BLIND8 (noch) wenig zu bieten. [CM]

  1. Laniakea
  2. Nightmare
  3. Bulletproof
  4. Overcome The Darkness
  5. Abandoned
  6. On My Own

ANNISOKAY im Oktober 2024 in MünchenVom Look her (schwarze Shirts und schlichtes Logo-Backdrop) sowie dem grundsätzlichen Musikstil unterscheidet ANNISOKAY erst einmal wenig von ihren Vorgängern. Neben den mannsgroßen LED-Aufstellern mit Videoclips macht vor allem das deutlich souveränere Auftreten der Musiker deutlich, dass das Trio aus Halle auf einem ganz anderen Level unterwegs sind. Bei einer halben Million monatlichen Hörer:innen auf Spotify ist es nicht verwunderlich, dass eine große Fangemeinde anwesend ist. Umso lustiger ist es, dass Gitarrist Christoph Wieczorek für die Ansagen zwischendurch ins Englische rutscht – bis ihm wieder einfällt, dass der Tourtross heute im eigenen Land haltgemacht hat. Auch sonst verkaufen sich ANNISOKAY sympathisch. Die Musik des Trios jedoch klingt im akustisch anspruchsvollen Zenith weitestgehend lärmend und im wahrsten Sinne ohrenbetäubend. Woran es aber grundsätzlich hapert, zeigt sich ausgerechnet bei einem Cover: Gegen „One Step Closer“ von Linkin Park fallen die eigenen Songs von ANNISOKAY dann doch um Klassen schwächer aus. Was bei aller Eingängigkeit und Abwechslung fehlt, ist schlichtweg Eigenständigkeit. Dennoch machen ANNISOKAY einen als Vorband mehr als ordentlichen Job und schaffen es, mit einer humanitären Message vor Kriegsszenen auf den Leinwänden und mit einem Gastauftritt von Sharon den Adel bei „Like A Parasite“, eine Brücke zwischen den anderen Acts des Abends zu spannen. Mit ihrem bisher größten Hit „Calamity“ beschließen ANNISOKAY ihren Auftritt nach einer guten halben Stunde und machen den Weg frei für den sehnlich erwarteten Headliner. [CM]

  1. Into The Abyss
  2. Throne Of The Sunset
  3. Ultraviolet
  4. Like A Parasite
  5. One Step Closer (Linkin-Park-Cover)
  6. Human
  7. Calamity
  8. STFU

WITHIN TEMPTAION im Oktober 2024 in MünchenWennschon sich Annisokay wahrlich nicht über mangelnden Zuspruch beschweren können, steht der Abschlussapplaus in keinem Verhältnis zu dem Jubelsturm, mit dem WITHIN TEMPTATION begrüßt werden. Dabei gäbe es auch allen Grund, vor Staunen zu verstummen: Mit zwei Kronleuchtern an der Decke, Säulenbögen links und rechts der Bühne und Leinwänden zwischen den Säulen ist die Bühne so stimmungsvoll „eingerichtet“, wie man es nur selten sieht. Ohne überladen zu wirken oder das Augenmerk zu sehr von der Band abzulenken, gibt das Bühnendesign der Show die perfekte Plattform – zumal zu jedem Song eine andere, technisch bemerkenswert gute Visualisierung vorgeführt wird: Wenn nicht gerade ein Musikvideo mitläuft, wuchert etwa Efeu über eine Engelsstatue – oder es öffnet sich eine Luke in die unendliche Weite des Alls.

WITHIN TEMPTAION im Oktober 2024 in MünchenAuch sonst sind die Rahmenbedingungen perfekt: Kraftvoll tönt die Musik aus den Boxen – lässt aber doch genug Raum für Sharons Stimme. Dass die Fronterin heute stimmlich leicht angeschlagen wirkt, merkt man nur an Details – einem verstohlenen hüsteln zwischen den Einsätzen, oder eine Nuance mehr Pressen im Gesang als sonst. Dass den Adel dennoch selbst die schwierigsten Passagen nahezu perfekt meistert, unterstreicht nur einmal mehr die Kraft ihrer Stimme und ihr enormes technisches Können.

WITHIN TEMPTAION im Oktober 2024 in MünchenDer zweite Faktor, der WITHIN TEMPTATION zu einer so guten Live-Band macht, ist das grundsympathische Auftreten von den Adel und Konsorten: Die Ansagen sind an Herzlichkeit nicht zu überbieten – und auch der Umgang mit den Vorbands ist so weit von „Rockstar-Eitelkeit“ entfernt, wie man nur sein könnte: Nach dem unprätentiösen Gastauftritt bei Annisokay holen WITHIN TEMPTATION ihrerseits deren Gitarrist und Sänger Christoph Wieczorek für die gemeinsam veröffentlichte Single „Shed My Skin“ auf die Bühne. Und selten hat man ein Feature gesehen, das allen Beteiligten so viel Freude bereitet hat, wie dies hier augenscheinlich der Fall ist.

WITHIN TEMPTAION im Oktober 2024 in MünchenWer WITHIN TEMPTATION in den letzen Jahren live gesehen oder auch bei den veröffentlichten Songs nicht nur auf die Musik geachtet hat, weiß, dass die Unterstützung der Ukraine für die Band eine Herzensangelegenheit geworden ist. Statt der zuletzt obligatorischen Ukraine-Flagge bei „Raise Your Banner“ (das diesmal nicht im Set ist), spielen WITHIN TEMPTATION diesmal gemeinsam mit Alex Yarmak die zusammen veröffentlichte Single „A Fool’s Parade“ – und abermals werden QR-Codes eingeblendet und zum Spenden aufgerufen. Dass WITHIN TEMPTATION ihm die Bühne dann noch für ein paar Minuten überlassen, um einen Spendenaufruf für die „Dronefall“-Kampagne zu tätigen, mit der Verteidigungskrieg gegen russische Dronen finanziert werden soll, ist ein starkes Zeichen – aber auch ein Tabubruch: Die „cozy savespace“-Atmosphäre mit Wohlfühlmusik bekommt durch diesen ungeschönten Blick auf die hässliche Realität in der Welt da draußen jedenfalls einen Knacks. Doch es gibt wohl nichts, was Sharon den Adel mit ihrem warmen Lächeln nicht wiedergutmachen könnte – zumindest für den Moment. Und so kommt trotz aller Finsternis in der Welt mit Songs wie „Supernova“, „Paradise (What About Us)“ oder – in der Zugabe „All I Need“ natürlich doch sehr schnell wieder Konzert-Euphorie auf, ehe es zu „Mother Earth“ schon wieder Abschied nehmen heißt – für dieses Mal. [MG]

WITHIN TEMPTAION im Oktober 2024 in München

  1. We Go To War
  2. Bleed Out
  3. Ritual
  4. Shed My Skin
  5. Wireless
  6. The Reckoning
  7. Shot In The Dark
  8. Stand My Ground
  9. A Fool’s Parade
  10. The Promise
  11. Supernova
  12. Angels
  13. Paradise (What About Us?)
  14. Faster
  15. Our Solemn Hour
  16. All I Need
  17. Mother Earth

WITHIN TEMPTATION zeigen am heutigen Abend einmal mehr, wie schwierig – und doch wichtig – der Spagat zwischen Entertainment und Politik ist. Mit ihrem vehementen Engagement für die Ukraine machen sich die Niederländer sicher nicht nur Freunde, zumal es, oberflächlich betrachtet, die Atmosphäre der Show stellenweise doch empfindlich stört. Und doch mag, ja kann man die Band dafür nicht kritisieren – gibt es doch viel zu wenige Bands, die sich trauen, den Finger in die Wunden der Welt zu legen und die ihnen gebotene Bühne zu nutzen, um anderen Menschen zu helfen.

WITHIN TEMPTAION im Oktober 2024 in München

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