Die Pandemie ist nicht vorbei. Das merkt man nicht mehr nur an Masken in Bus und Bahn, an Inzidenzzahlen oder Diskussionen um Regelungen für den kommenden Winter, sondern auch an den Besucherzahlen von Konzerten: Alles, was nicht Rammstein oder Wacken heißt, hat mit einer drastisch gesunkenen Nachfrage zu kämpfen – und wenn nicht gleich die ganze Tour abgesagt werden muss, bleiben die Besucherzahlen zumindest weit hinter dem zurück, was vor der Pandemie möglich gewesen wäre.
Eindrucksvoll zeigt sich das auch bei der „Chariots Of Fire Tour 2022“: Hätte das Mega-Package aus WATAIN, ABBATH, TRIBULATION und BÖLZER noch 2020 fraglos bei jedem einzelnen Termin für eine ausverkaufte Halle gesorgt, reicht es sogar bei der Samstagabend-Show im Münchner Backstage Werk gerademal für rund 800 zahlende Gäste.
Dass dann noch relativ kurzfristig am Tag der Show die Zeiten für Einlass und Beginn deutlich nach vorne verschoben werden, ist für BÖLZER wie auch deren Fans sehr schade: Zwar ist der Zuschauerraum zum Showbeginn um 18:40 Uhr ansehnlich gefüllt – so mancher Fan dürfte die Show jedoch ungewollt verpasst haben. Das ist insofern bitter, als BÖLZER heute richtig abliefern und eindrucksvoll unter Beweis stellen, dass sie auf dem besten Wege sind, in die Fußstapfen von Urfaust zu treten: Der atmosphärisch, zugleich aber maximal brachiale Sound des Duos wirkt ähnlich meditativ. Entsprechend in sich gekehrt stehen die Fans vor der Bühne: Headbangen oder gar ein Moshpit wäre bei diesem packenden 40-Minuten-Erlebnis aber auch vollkommen unangebracht.
Keine Viertelstunde verstreicht, ehe TRIBULATION mit ihrer Show beginnen. Nun, oder zumindest mit dem Intro. Dass dieses knapp acht Minuten läuft, ehe sich die Musiker zeigen, ist leider alles andere als stimmungsvoll. Das eigentliche Problem ist aber ein anderes: Wie viele Fans schon seit dem Ausstieg von Lead-Gitarrist und Gründungsmitglied Jonathan Hultén befürchtet hatten, ist den Schweden mit dem extravaganten Tänzer eben nicht nur ein Musiker, sondern auch das zentrale Showelement verloren gegangen. Mag der Auftritt musikalisch auch noch so akkurat gespielt sein – die Performance von TRIBULATION wirkt verglichen mit allen Shows vor Hulténs Ausstieg uninspiriert und blass.
- In Remembrance
- Leviathans
- Nightbound
- Melancholia
- Hamartia
- Funeral Pyre
- Strange Gateways Beckon
Nach erneut schnellem Umbau steht bereits um 20:45 Uhr bei ABBATH eine wahre Black-Metal-Legende auf der Bühne – und zudem ein 1-A-Entertainer. Die Reaktionen des Publikums fallen entsprechend aus: Olve „Abbath“ Eikemo braucht bloß die Zunge herauszustrecken oder zum Crab-Walk anzusetzen und der Jubel der Fans ist ihm sicher. Dass der Norweger heute vollends Herr seiner Sinne zu sein scheint, tut sein Übriges für eine rundum gelungene Show: Extrem laut, aber differenziert und vor allem auf den Punkt gespielt schallen Songs von ABBATH, I und IMMORTAL aus den Boxen. Wenngleich nicht jede Nummer musikalisch maximal spannend ist und sich so über den Verlauf von gut einer Stunde Spielzeit auch ein paar Längen einschleichen, macht es doch Freude, ABBATH in dieser Verfassung performen zu sehen: Es gab schließlich Zeiten, da hätte der Norweger in die letzten Minuten seiner Showtime nicht noch einen zusätzlichen Song gequetscht.
- Acid Haze
- Dream Cull
- The Artifex
- Ashes Of The Damned
- Dread Reaver
- Hecate
- Warriors (I-Cover)
- Winterbane
- In My Kingdom Cold (Immortal-Cover)
- Beyond The North Waves (Immortal-Cover)
- Withstand The Fall Of Time (Immortal-Cover)
Bis um 22:20 Uhr endlich WATAIN loslegen können, gibt es für die Stagehands einiges zu tun – wenngleich deutlich weniger als auf anderen Shows der Tour: Die gesamte gasbetriebene Pyrotechnik – brennende WATAIN-Dreizacke, Feuerschalen und emporschießende Feuerbälle – muss heute wegen der geringen Hallenhöhe im Trailer bleiben. Übrig bleiben, neben der fulminanten Bühnedeko aus Metall und Knochen, unzählige Kerzen, die aber natürlich weder den Effekt, noch die Leuchtkraft des eigentlich eingeplanten Infernos haben. So bleibt es auf der Bühne insbesondere im ersten Teil der Show mitunter so dunkel, dass man die Musiker im wallenden Nebel nur erahnen kann. Für etwas zusätzliches Licht sorgt WATAIN-Fronter Erik kurzerhand selbst: Wie schon auf dem Wolfszeit Festival wirft er zum Einstieg von „Ecstasies In Night Infinite“ eine brennende Fackel ins Publikum, die dort erstaunlich lang hochgehalten wird, ehe sich ein Security-Mitarbeiter der Angelegenheit annimmt.
Trotz dieser Abstriche in Sachen Pyro-Show zeigt sich auch heute schnell, warum WATAIN absolut verdient zu den größten Black-Metal-Bands unserer Zeit zählen: Der musikalisch höchst anspruchsvoll umgesetzte Mix aus eingängigen Riffs und roher Härte, die von der Bühnendeko bis zu den Outfits detailverliebte Präsentation und der Funke Wahnsinn, wenn Erik eben offenes Feuer ins Publikum gibt oder seine Hand länger, als es gesund sein kann, über den Kerzenflammen hält, ergeben zusammen jenen perfekten Mix, der aus einer Show mehr werden lässt als ein Konzert. Dass diese Darbietung ihre Wirkung nicht verfehlt, zeigt sich besonders in ihren letzten Momenten: Als Erik mit der Klinge eines Säbels zeremoniell die Kerzen seines Schreins löscht, herrscht im gesamten Backstage Werk andächtiges Schweigen – das am Ende dieses Rituals von einer Sekunde auf die nächste in ohrenbetäubenden Jubel umschlägt.
- Ecstasies In Night Infinite
- Black Salvation
- The Howling
- I Am The Earth
- Reaping Death
- Devil’s Blood
- Serimosa
- Not Sun Nor Man Nor God
- Before The Cataclysm
- Angelrape
- Malfeitor
Von roher Härte (BÖLZER) bis Melodik (TRIBULATION), von rotzigem Groove (ABBATH) bis hin zu abgrundtiefer Bösartigkeit (WATAIN) – abwechslungsreicher und zugleich stimmiger als diese könnte eine Black-Metal-Tour nicht zusammengestellt sein. Dank der durch den gigantischen Merchandise-Stand und einen abgehängten hinteren Teil verkleinerten Halle macht sich zumindest während der Show nicht negativ bemerkbar, dass weit weniger Fans gekommen sind als man eigentlich erwartet hätte.
Dass jedoch selbst dieses illustre Package längst nicht so zieht, wie es noch im Frühjahr 2020 selbstverständlich gewesen wäre, ist besorgniserregend – schließlich werden in diesem Jahr noch viele Konzertabende folgen, die nicht durchweg so hochwertig besetzt sind … und bei denen alle – Bands, Clubs und das gesamte subkulturelle Umfeld auf die Unterstützung der Szene angewiesen sind.
Danke für den Bericht. Ich war leider aufgrund der Arbeit verhindert und finde es sehr erschreckend, wie wenig Besucher vor Ort waren. Der Ausblick auf den Herbst macht gar nicht mal so viel Spaß…naja, man muss das Beste hoffen!
Davon mal abgesehen: Ein wenig Schmunzeln muss schon erlaubt sein, sind Watain nicht immer die Band, die auf allen Kanälen und in jedem Interview betont, wie sehr sie auf Regeln und Vorgaben scheißen und einfach ihr Ding durchziehen, egal was Veranstalter oder Festival- bzw. Konzertbesucher sagen? ;D Und dann doch nur eine kleine abgespeckte Show? Musikalisch finde ich sie wahnsinnig gut, aber das Image drumherum ist teilweise schon fast etwas lächerlich.
Zum Herbst: Ja, das wird im schlechtesten Sinne spannend.
Zum Image: Der Fackelwurf dürfte nicht abgesprochen gewesen sein – aber was Aufbauten angeht, muss sich wohl selbst der böseste Black Metaller an die örtlichen Vorgaben halten, sonst findet die Show halt nicht statt 😆