„The Crimson Idol“ ist mit Abstand das beliebteste Album der Urgesteine von W.A.S.P. Wenngleich die Band auch andere düstere, tiefgehende Alben wie „Still Not Black Enough“ komponiert hat, so thront „The Crimson Idol“ doch seit Jahrzehnten unangefochten auf Platz 1 und ist nicht zum ersten Mal Anlass, erneut mit dem Material auf Tour zu gehen. So auch in 2017 mit der „ReIDOLized“-Tour, die europaweit für ausverkaufte Konzerthallen sorgt. Und dies trotz böser Gerüchte über Starallüren. Auch sprang drei Tage vor dem München-Gig die Vorband BEAST IN BLACK ab und veröffentlichte ein Statement, dass es Ihnen unmöglich sei, weiter mit W.A.S.P. bzw. deren Management zusammenzuarbeiten.
So sieht es am 22. November 2017 auch anfangs im „Backstage“-Werk so aus, als würde der Gig überraschenderweise eher schlecht besucht sein, denn gegen 20 Uhr ist die Halle gerade mal halb voll. Dabei hieß es auf der Seite des Veranstalters doch, 20 Uhr sei Beginn, später wurde dies auf 20:30 Uhr korrigiert. Aber erst kurz vor 21 Uhr tut sich dann endlich etwas auf der Bühne und die Herren von W.A.S.P. machen es spannend, als sie zum Intro ganz gemächlich die Bühne betreten. Ein Novum! Komplett ohne Vorbands geht es also direkt mit dem Headliner los!
Während „The Titanic Overture“ läuft, werden auf zwei großen Leinwänden die Videos zu den Songs von The Crimson Idol abgespielt, die jedem langjährigen Fan aus den Vorjahren bereits bekannt sein dürften, aber immer wieder faszinierend sind. In den Filmen wird die Geschichte des imaginären Jonathan erzählt, der am Ende Suizid begeht.
Man könnte bemängeln, dass anfangs der Funke nicht so richtig überspringt. Zwar sind Gitarrist Doug Blair und Bassist Mike Duda Poser vor dem Herrn und lassen bei den gewaltigen Gitarrensoli so richtig den 80er-Flair raus, aber Mastermind Blackie Lawless scheint anfangs nicht unbedingt inspiriert zu sein. Ich möchte nicht behaupten, dass er von „The Invisible Boy“ bis „“I Am One“ die Songs nur runternudelt, denn schließlich bietet er eine Stimmgewaltigkeit wie am ersten Tag seines Schaffens, aber ich habe schon bessere Auftritte der Band erlebt.
Doch im Verlaufe des Abends füllt sich das „Backstage“ tatsächlich komplett und bis auf die letzten Stufen am Rand der Halle ist alles dicht besetzt. Offensichtlich wird äquivalent dazu auch Blackies Laune besser. Beim Höhepunkt des Sets, der Trilogie aus den emotionalen Brachialstücken „The Idol„, „Hold On To My Heart“ und „The Great Misconceptions Of Me“ geht er richtig aus sich heraus und versinkt in seinem Gesang. „Kiss away the pain and leave me lonely, I’ll never know if love’s a lie…“ klingt perfekt und herzzerreißend und auch die Besucher werden davon angesteckt und der Applaus mehrt sich nach jedem Track. Die ganz kniffligen Soli überlässt Blackie jedoch seinem Gitarristen, der auch gerne mal mit der zweihalsigen Gitarre Eindruck schindet und überhaupt sehr agil auf der Bühne ist.
Nach einer Pause, in der manch ein Besucher bereits die Halle verlässt, um sich vorm Eingang das Bayern-Fußballspiel beim zeitgleichen Public Viewing auf der Großleinwand anzuschauen, wird das Konzept geändert. Es gibt vier weitere Songs aus dem Best-of-Bestand von W.A.S.P., die es aber so richtig in sich haben. Mit „L.O.V.E. Machine“ legt die Band los und plötzlich herrscht in der Halle eine unglaubliche Stimmung. Man ist wie ausgewechselt. Noch furioser wird es bei „Wild Child“, dem offensichtlichen Lieblingstrack der Masse. Plötzlich singen bis in die hintersten Reihen alle mit, springen und sind ausgelassen. Kurzzeitig steht Blackie Lawless auf der Bühne und schaut einfach nur die wilde Fanmenge an, offensichtlich positiv überrascht. Dies ist auch der Zeitpunkt, an dem sich für alle wieder alles richtig anfühlt und man es einfach nur genießt, die Amerikanischen Hochkaräter immer noch live erleben zu können, denn auch an ihnen geht das Alter nicht spurlos vorüber. Und auch eine der großartigsten Rockballaden aller Zeiten, „Golgotha“, findet noch den Weg auf die Setliste und setzt bei Fans und Band große Gefühle frei. „I Wanna Be Somebody“ ist letztendlich der feurige Rausschmeißer nach ca. anderthalb Stunden Auftritt.
„If I could only stand and stare in the mirror would I see one fallen hero with a face like me? And if I scream, could anybody hear me? If I smash the silence, you’ll see what fame has done to me.“ – Noch ist es nicht so weit, Starallüren hin oder her. An diese musikalischen Qualitäten soll erst mal einer ranreichen, bevor er Blackie Lawless zum alten Eisen zählt. Wer W.A.S.P. auf dieser Tour verpasst hat, ist selber schuld, wenngleich der Ticketpreis mit ca. 35 EUR (wohlgemerkt ohne Vorband) doch nicht für jeden nur ein Trinkgeld ist. Aber Legenden haben eben ihren Preis.
- The Titanic Overture
- The Invisible Boy
- Arena Of Pleasure
- Chainsaw Charlie
- The Gypsy Meets The Boy
- Doctor Rockter
- I Am One
- The Idol
- Hold On To My Heart
- The Great Misconceptions Of Me
- L.O.V.E. Machine
- Wild Child
- Golgotha
- I Wanna Be Somebody
—