Konzertbericht: Ville Valo w/ Kælan Mikla

Mit einer letzten Show in ihrer Heimatstadt Helsinki beendeten HIM am 31.12.2017 ihre Karriere – und selbst, wer kein Fan der finnischen „Love Metaller“ ist, muss eingestehen, dass damit ein wichtiges Kapitel Rockgeschichte geschlossen wurde. So ganz konnte Mastermind VILLE VALO aber doch nicht von der Musik lassen: Unter dem Projektnamen Ville Valo & Agents veröffentlichte er so dies und das, als VV dann im Jahr 2020 eine EP. Ein richtiges Comeback gab es dann allerdings erst in diesem Jahr: Mit „Neon Noir“ brachte er sein erstes komplettes Soloalbum heraus, mit dem er nun in quasi überall ausverkauften Hallen sein Live-Comeback feiert.

Auch das Werk des Backstage München ist an diesem Freitag restlos ausverkauft – und erfreulicherweise sind die Fans trotz des komplett bestreikten Nahverkehrs in München früh genug da, um sich um 20:00 Uhr KÆLAN MIKLA anzuhören. Das Frauen-Trio (Keyboard/Bass/Gesang) aus Island eröffnet den Abend mit einem Mix aus Post-Punk und elektronischen Sounds. Ihre Herkunft aus Skandinavien können die strohblonden Musikerinnen nicht nur optisch nicht ganz verheimlichen – auch musikalisch werden hier Erinnerungen etwa an Eivør von den benachbarten Färöer Inseln wach. Zwar könnten sich am bisweilen gewollt hysterischen Gesang von Laufey Soffía die Geister scheiden, insgesamt gelingt es KÆLAN MIKLA in der ihnen zugedachten halben Stunde aber doch, eine sehr eigene, dichte Atmosphäre zu kreieren, sodass die Isländerinnen mit warmem Applaus bedacht werden.

Kein Vergleich aber natürlich zu dem Jubel, der aufbrandet, als um 22:00 Uhr VILLE VALO alias VV auf die Bühne kommen. Seinen charakteristischen Beanie hat Vallo gegen eine lässige Ballonmütze eingetauscht – in Kombination mit dem schwarzen Jacket wirkt der mittlerweile gertenschlanke Finne eher wie ein Avantgardist als wie ein Rock-Musiker. Doch der neue Style passt hervorragend zur Performance: Ein leuchtendes VV-Heartagramm und eine stimmungsvolle Ausleuchtung sind die einzigen Show-Elemente – und auch Ville Valo selbst verzichtet auf große Gesten: Ansagen spart er sich im regulären Set komplett, die früher obligatorische Zigarette hat der nunmehr rauchentwöhnte Sänger gegen ein ehrlich begeistertes Lächeln eingetauscht.

Tatsächlich hat Ville Valo allen Grund, begeistert zu lächeln. Denn während sich so manches andere Comeback ehemals großer Bandleader als Solokünstler als belanglose Chose herausgestellt hat, funktioniert VV in jeder Hinsicht: Mit seinen Livemusikern – Mikko Virta und Sampo Sundström an der Gitarre, Juho Vehmanen am Bass und Risto Rikala am Schlagzeug – hat Valo auf international vergleichsweise unbekannte Künstler gesetzt. Doch die Art und Weise, wie die vier harmonisieren, ist spektakulär: So perfekt aufeinander eingespielt, so virtuos an den Instrumenten wie diese Truppe sind selbst „gewachsene“ Bands nur selten. Und so funktioniert, was VV heute musikalisch vorhaben, wie am schnürchen: In konsequentem Wechsel bringt Valo je einen Song seines Soloalbums „Neon Noir“ und einen HIM-Klassiker.

Erst für die Zugabe brechen VV mit diesem Muster: Das reguläre Set endet unter frenetischem Jubel mit dem ehemaligen HIM-Rausschmeißer „When Love And Death Embrace“ und mit dem „Love Metal“-Klassiker „Soul On Fire“ kommen die Finnen zurück auf die Bühne – obwohl das beseelte Publikum fast vergisst, die Band zurück auf die Bühne zu jubeln. Der Twist hat zur Folge, dass der Abend nach knapp 90 Minuten eben nicht mit einem HIM-Song endet, sondern mit „Saturnine Saturnalia“ – während etwa ein „The Funeral Of Hearts“, ehemals obligatorische HIM-Zugabe, mitten im Set auftucht. Das zeugt von gesundem Selbstbewusstsein – und das völlig zu Recht. Denn zum einen ist Valo selbst in beeindruckender Verfassung und bringt sämtliche Songs – ob HIM oder VV – mit großer Stimme zum Glänzen. Zum anderen sind die HIM-Nummern zwar die erwartbar am meisten abgefeierten, aber eben nicht – wie so oft bei Soloprojekten – die einzig guten im Set.

Dass Ville Valo die Show kurz vor Schluss noch mit einer so ausführlichen wie herzerwärmend sympathischen Ansage auf eine persönliche Ebene zieht, rundet das Bild dieses Abends stimmig ab: Der Dank an die so ausdauernd „heulend“ jubelnden „Bavarian She-Wolves“ im Publikum kommt genauso von Herzen wie die Absage an eine mittels Pappschild vorgetragene „Draw my Tattoo“-Bitte – am Ende ist Ville Valo eben doch Rock-Musiker geblieben und nicht Avantgardist.

Publiziert am 5. März 2023 von Moritz Grütz