Konzertbericht: Versengold

22.03.2013 Spectaculum Mundi, München

Mittelalter-Folk als Musikrichtung mag nun wenig griffig sein. Die Nordlichter VERSENGOLD haben sich dennoch eben jenen groben Rahmen für ihre Form der mittelalterlichen Markt-, Feier- und Tanzmusik auf die Fahnen geschrieben. Die Erfolgsgeschichte der Bremer begann mit zwei samstäglichen Headlinershows auf dem Festival Mediaval in Selb in den Jahren 2012 und 2011. Darauf folgten mehrere Support-Touren für die Blödelbarden Feuerschwanz und nun die erste eigene Headliner-Hallentournee quer durch die Bundesrepublik. So ergab es sich auch, dass VERSENGOLD im Rahmen des alljährlichen Musica Antiqua Viva im Spectaculum Mundi zum zweiten Mal in der bayerischen Landeshauptstadt aufschlugen. Und gleichzeitig könnte das Münchner Publikum die Geburtsstunde einer neuen Folksensation erlebt haben.

Der Rahmen für die Tour bot das aktuelle VERSENGOLD-Album „Im Namen des Folkes“, welches in Teilen bereits lange vor der Veröffentlichung ausgiebig live zelebriert wurde. Dies dürfte allerdings nur den wenigsten Gästen an diesem Abend bekannt gewesen sein, wirkte der teilbestuhlte Saal größtenteils so, als würden die älteren Gäste etwas in Richtung Santiano und Co. erwarten. Dem war allerdings nicht so, wie VERSENGOLD bereits mit ihrem gleichnamigen Opener bewiesen. So nahm der stehende Anteil unter den Anwesenden schlagartig zu und trotz überschaubarer Menge entwickelte sich eine ausgelassene Feierstimmung. Bewaffnet mit zwei Geigen, einem Bodhran und einer irrwitzigen Spielfreude kämpften VERSENGOLD erfolgreich gegen die schwierigen Umstände mit Tischen und Stühlen an – und begeisterten restlos. Dabei verpflichteten sich die Spielleute im wahrsten Sinne des Wortes ihrem Albentitel und entpuppten sich als gut geölte Livemaschine.


Eben jener Titeltrack plus die liveerprobten „Drey Weyber“ (für alle Unwissenden: Bier, Wein und Schnaps) erwiesen sich in Verbindung mit älteren Marktklassikern wie „Halunken betrunken“ als hochexplosive Mischung, die vor und auf der Bühne für eine Menge Bewegung sorgte, ohne dabei eine Sekunde das nötige Niveau und den musikalischen Anspruch vermissen zu lassen. Dazwischen mischten sich mit dem neuen „Paules Beichtgang“ sowie dem süffisant-ironischen „Immer schön nach unten treten“ auch tiefsinnigeres Material über Religion und Glaube, welches dennoch stets feiertauglich blieb. Stellte sich besonders nach den Supportshows für Feuerschwanz die Frage, ob VERSENGOLD über mehr als 45 Minuten mit dieser Form von Musik unterhalten können, so beantworteten die Musiker selbst diese Frage mit drei dicken Ausrufezeichen, indem sie unter anderem in ihrer eigenen Friedenshymne „Punsch statt Putsch“ forderten oder den akustischen „Ablasstanz“ zelebrierten. Sänger Snorre Snörkelfrey erwies sich am Mikro als wahres Stimmwunder, der nicht nur stimmgewaltig für Furore sorgte, sondern auch die sanften Töne mit sehr viel Gefühl anschlug. Ein Umstand, der besonders bei manch ausbaufähiger Markttechnik bis dato zu kurz gekommen sein könnte.

Im Zusammenspiel mit Pinto von Frohsinn zeigten sich wiederum bei „Und schon wieder rollt ein Kopf…“ die Marktwurzeln der beiden Barden, die zusammen eine Bürgerklage inszenierten – und auch damit beim Publikum ankamen. Im Vergleich zur Studioversion ergaben die beiden männlichen Stimmen ein harmonischeres Duo als der weiblich/männliche Ursprung. Allgemein wirkten VERSENGOLD wie ein folkiges Feierkollektiv, welches neben Wortwitz über kreative Lösungen verfügt: So funktionierte Gitarrist Paule das Brett sein Instrument mit technischer Unterstützung zu einem Bass um. Auf „Im Namen des Folkes“ spielte Schandmaulbassist Mathias Richter die fehlenden Akkorde ein, wofür sich der norddeutsche Fünfer an diesem Abend in Persona bedanken konnte. Live erwies sich die kreative Übergangslösung ebenso als zweckdienlich wie Honza Sturmgemüts Drehleierimitation auf einer Geige. Und wie Snorre anmerkte, fehlt der Band nicht nur eine Drehleier, sondern auch jemand, der diese bedienen kann…
So holten VERSENGOLD aus ihren vorhandenen Möglichkeiten das Maximale heraus und am Ende lag sich die gesamte Halle beim Schunkelklassiker „Ich und ein Fass voller Wein“ in den Armen. Anschließend ließen die Musiker mit dem aktuellen Albumabschluss „Kopft ihn“ auf russisch-norddeutsche Art in passender Verkleidung den Abend mit fünf verschiedenen Tonarten in einem Song witzig und intelligent ausklingen.


Während Folkrocknewcomer wie Nachtgeschrei und Ignis Fatuu mit Besetzungswechseln zu kämpfen haben, könnte sich mit VERSENGOLD eine Band ihren Weg auf die größeren Bühnen bahnen, die vor kurzer Zeit besonders im Süden der Republik niemand auf dem Zettel hatte. Mit einem hervorragenden Studiowerk sowie einer umwerfenden Livepremiere ist die Ausgangslage jedenfalls prächtig. Dazu gesellen sich mit dem Feuertanz 2013 sowie der 15 Jahre Schandmaul-Feier in Köln weitere hochkarätige Auftritte für die Combo, die mit ihrem Mittelalter-Folk ein komplettes Genre durchwirbeln könnte. Und wenn man sie fragen würde, für wen sie das alles tun, gäbe es wohl die passende Antwort in Songform: „Wem? Uns.“ Ebenso könnte dies die Antwort auf die Frage sein, wem die Zukunft des akustischen Folks gehört – und das ganz ohne Dudelsack und Schalmei. Wer die intelligente Alternative zu Feuerschwanz und die folkige Antwort auf Subway to Sally, Saltatio Mortis und Co. sucht, der ist hier goldrichtig.

Publiziert am von und Uschi Joas

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