Wer das Konzertjahr mit Weihnachten als beendet ansieht, hat die Rechnung ohne VENOM gemacht: Gemeinsam mit den schwedischen Black Metallern DARK FUNERAL sowie einem attraktiven Vorprogramm aus MIDNIGHT, WIEGEDOOD und DEATHRITE spielen diese zum Jahresausklang noch drei Shows. Am 30.12.19 macht die „Lucifer Rising“-Tour in der Tonhalle München halt.
Als um 18:30 Uhr DEATHRITE den Abend eröffnen, ist die Tonhalle etwa zur Hälfte gefüllt. Grund dafür dürfte wohl eher die frühe Anfangszeit denn der eigentlich recht knackige Death-Thrash-Mix der Sachsen sein: Nicht jeder hat schließlich den unbändigen Drang, sich an einem Abend fünfmal in Folge fieses Geprügel anzuhören. Wer pünktlich kommt, wird dafür heute allerdings auch nur in Maßen belohnt: Die Lichtshow für DEATHRITE ist so matschig wie der Sound, sodass die Dresdner in Dunkelheit und rotem Nebel verschwinden wie ihre Riffs in bassigem Gewummer. Wenn man ehrlich ist, hätten hier und heute trotz einer bemüht engagierten Show von DEATHRITE alle gewonnen, hätte der Abend mit Wiegedood begonnen. Selbst DEATHRITE.
Dem straffen Programm Rechnung tragend geht es nach effiziente gestaltetem Umbau schon um 19:20 Uhr mit WIEGEDOOD weiter: Die Belgier, die gelegentlich schon als legitimer Nachfolger von Urfaust gehandelt werden, haben dann auch deutlich mehr Fans im Publikum. Diese dürfen sich zwar nicht über besseres Licht, aber immerhin besseren Sound freuen, sodass der mitunter fast meditative Sludge-Black-Metal-Mix mit einem Wechselspiel aus Growls und Kehlkopfgesang deutlich mehr Stimmung erzeugt. Ob es an der für diesen intensiven Sound etwas zu großen, unpersönlichen Halle liegt oder daran, dass das Publikum zum Großteil eben doch nicht wegen WIEGEDOOD gekommen ist, ist schwer zu sagen – restlos mitzureißen vermögen die Belgier heute jedenfalls nicht, sodass selbst 30 Minuten gegen Ende lang wirken. [MG]
Um 20:10 Uhr dürfen dann MIDNIGHT ran und gleich ab dem ersten Song fällt auf, dass der Sound deutlich besser ist als bei beiden vorangegangenen Bands. Mit ihrem rotzigen Black-Thrash bei permanent durchgetretenem Gaspedal erinnert das Trio aus Cleveland nicht selten an Zeiten, als die Gastgeber VENOM im gleichen Alter waren – komplett mit entsprechend affigem Auftreten der gesamten Band in Henkersmasken. Auch in Sachen Bühnenshow sind die Amis der bisherige Spitzenreiter, insbesondere Gitarrist Vanek zeigt zwischen seinen bierseligen Leads viel Bewegung und Publikumsinteraktion. Das gefällt auch der mittlerweile recht dicht gepackten Menge, weshalb sich MIDNIGHT nicht nur über die bisher enthusiastischsten Reaktionen sondern auch als einzige Band des Abends über den ein oder anderen Crowdsurfer freuen dürfen. Was die Setlist anbelangt, so bietet das Trio mit elf Songs einen recht guten Querschnitt seiner Karriere, neben „Klassikern“ wie „You Can’t Stop Steel“ oder „All Hail Hell“ gibt es auch Neueres wie „Poison Thrash“ und sogar den Titeltrack des in Kürze erscheinenden Albums „Rebirth By Blasphemy“ zu hören. Insgesamt verkaufen sich MIDNIGHT in ihren 40 Minuten Spielzeit hervorragend und sind dank knackigen Songs, verträglichem Sound und einer gehörigen Portion Rock ’n‘ Roll die bisher überzeugendste Band. [TM]
Nach diesem bunt gemischten, um nicht zu sagen: zusammengewürfelten Vorprogramm aus Death, Sludge und Thrash ’n‘ Roll steht nun mit DARK FUNERAL auch noch Black Metal auf dem Programm. Ihren Außenseiterstatus als sich selbst halbwegs ernst nehmende Satansjünger untermauern die Schweden direkt mit massig Bühnendeko aus umgedrehten Kreuzen, Pentagrammen und Ziegenbildern. Dass Fronter Heljarmadr zwischendurch noch mäßig motiviert an einem Kruzifix herumleckt und auf den Metalljesus sabbert (evil!) rundet das Bild bestenfalls bemühter Bösartigkeit ab. Auch sonst schrammt der Auftritt am Rand zum Desaster entlang: Während bei dem Klassiker „Secrets Of The Black Arts“ und dem Hit „My Funeral“ fast so etwas wie Atmosphäre aufkommt, versinkt der Rest der 50-Minuten-Show in Soundbrei, den über weite Strecken lediglich Heljarmadrs Gekeiffe und das Doublebass-Sperrfeuer von Jalomaah (Ex-Evocation) durchdringt.
Bei einer ordentlichen Show könnte man darüber geflissentlich hinwegsehen – doch DARK FUNERAL tun nichts, aber auch gar nichts, um das Publikum für sich zu gewinnen: Erneut von einer nur in der Theorie „atmopshärischen“ Lichtshow aus Nebel und einem zarten Schimmer von Rot in Dunkelheit versenkt, stehen Lord Ahriman und Konsorten wie angenagelt dar – während Heljarmadr mit der Bräsigkeit und der Stockimarschigkeit eines Adeligen aus einem deutschen Vorabend-Fernsehspiel über die Bühne stolziert. Der langjährige Fan wünscht sich da nur Masse Broberg alias Emperor Magus Caligula zurück, der Großteil des Publikums hingegen wünscht sich augenscheinlich mehr noch das baldige Ende der Show herbei. Entsprechend spärlich fällt der Applaus aus. Zu Recht – so macht man sich keine neuen Fans und vergrämt obendrein die alten. [MG]
- Unchain My Soul
- The Arrival Of Satan’s Empire
- Temple Of Ahriman
- The Secrets Of The Black Arts
- As I Ascend
- Open The Gates
- My Funeral
- Nail Them To The Cross
- Where Shadows Forever Reign
Nach einer ausgedehnten Umbaupause wird es um 22:45 Uhr endlich Zeit für den Headliner und VENOM machen ihrem Ruf als alteingesessene Rumpeltruppe sodann alle Ehre: Das Dreigespann um das einzige verbliebene Gründungsmitglied Conrad „Cronos“ Lant erzeugt von Anfang an einen Geräuschpegel, der es schwer glauben lässt, dass die Briten in der minimal möglichen Besetzung von gerade mal drei Musikern unterwegs sind. Hier liegt aber auch schon das erste Problem ihres Auftritts, denn währden VENOM in den seligen 1980ern vermutlich nur deshalb so undifferenziert dahinrumpelten, weil sie es nicht besser konnten, ist ihre klangliche Grobschlächtigkeit mittlerweile zum Gimmick verkommen, denn 2019 sollte ein ausgeglicheneres Klangbild auch live ohne Weiteres möglich sein. Dennoch: Der Auftritt der Engländer ist alles andere als verkehrt, was jedoch weniger an ihrer musikalischen Leistung denn an ihrem Auftreten liegt, denn hier kommen VENOM absolut sympathisch rüber.
Das hat einerseits den Grund, dass Frontmann Cronos diesmal auf Lederriemen und andere Accessoires verzichtet und schlicht aussieht, als sei er unterwegs zum nächsten Studiotermin – und andererseits, dass VENOM als einzige Band an diesem Abend tatsächlich mit dem Publikum reden. Und wenn Mr. Lant zwischen den kompromisslosen Geräuschwalzen dann mit typisch britischer Selbstironie aus dem Nähkästchen plaudert, ist das geradezu entwaffnend charmant. Da verzeiht man der Truppe auch gerne ihre ansonsten trotz fast inflationärem Pyroeinsatz etwas starre Bühnenpräsenz und eine Setlist, die gleich zu Anfang mit „Black Metal“ den wichtigsten Song der Truppe verballert. Ansonsten werden immmerhin vier Songs vom aktuellsten VENOM-Album geboten, mit „Bloodlust“ und „In Nomine Satanas“ gibt es exklusive Singles von 1982 und am Ende darf noch zu „In League With Satan“ geschunkelt werden. Weil der Sound bis zum Schluss reichlich matschig bleibt und die Setlist ein paar echte Hits der Truppe vermissen lässt, hat der Auftritt von VENOM durchaus seine Längen – die Spielfreude der Formation und die ursympathischen Ansagen machen das jedoch weitgehend wett. [TM]
- Black Metal
- Bring Out Your Dead
- 100 Miles To Hell
- Bloodlust
- The Death Of Rock ’n‘ Roll
- Long Haired Punks
- Pedal To The Metal
- Don’t Burn The Witch
- In Nomine Satanas
- Welcome To Hell
- Countess Bathory
- Suffering Dictates
- Dark Night (Of The Soul)
- The Evil One
- Warhead
- In League Wsith Satan (Encore)
Jeder echte Black Metaller weiß, dass VENOM mit Black Metal in seiner heutigen Form absolut nichts zu tun haben. Dass die Briten dennoch als Headliner einer Mammut-Tour mit tatsächlichen Genre-Größen wie DARK FUNERAL in vollen Hallen auftreten können, dürfte niemanden mehr überraschen als Cronos selbst. Und die Tatsache, dass sie vom gleichen Publikum, das auch die Vorgruppen bejubelt, entsprechend abgefeiert werden, zeichnet ein durchweg positives Bild von einer als schwer zugänglich geltenden Szene.
Dass die Aufnahmefähigkeit nach vier Bands leidet, kann dem Publikum den starken – wenn auch nicht grandiosen – Auftritt nicht verleiden, mit dem VENOM ihre Daseinsberechtigung auch im 40. Karrierejahr unterstreichen. Dass dem Großteil der VENOM-Fans eher mit einer oder zwei Bands weniger gedient gewesen wäre, ist aber kaum zu übersehen.
Der Stimmung im Publikum nach zu Urteilen hätten VENOMs Epigonen MIDNIGHT als Einheizer eigentlich ausgereicht: Dank besserem Sound und jugendlicher Wildheit spielen diese die Erfinder des Black Metal heute fast an die Wand. In der Jugend liegt die Zukunft – so ist der Lauf der Dinge.