2012 tranken Schandmaul zum Abschluss des VELDENSTEINER FESTIVALS noch „Auf Euch“. Auf die große Ungewissheit über die Zukunft folgte die noch größere Erleichterung, als es hieß: Es geht weiter. 2013 sollten aber weniger die Folk- als viel mehr die Deutschrock- bzw. Metalsounds die Burg im Herzen Bayerns erobern. Doch dazu kam es nicht, denn nach der vielversprechenden Vorankündigung kam es wenig später zur Katastrophe: Wegen eines Erdrutsches in Folge eines Unwetters in Neuhaus an der Pegnitz musste die Veranstaltung letztes Jahr kurzfristig ersatzlos gestrichen werden. Doch wieder ließen die guten Nachrichten nicht lange auf sich warten: Schnell stand der Ersatztermin für 2014 und bis auf die Apokalyptischen Reiter konnte das Line-Up eins zu eins übernommen werden. Außerdem ergaben sich durch die Terminverschiebung neue Möglichkeiten.
So spielen die Wuppertaler RABENSCHREY zwei Jahre nach ihrem letzten Gastspiel auf Burg Veldenstein ihr (vorrübergehendes) Abschiedskonzert am selben Ort. Gleichzeitig agiert Donar von Rabenschrey erneut als Moderator des Festivals. Obwohl sich die Nostalgie bei den meisten Besuchern in argen Grenzen zu halten scheint, spielt das inzwischen auf ein Quintett angewachsene NDH-Quartett fernab seiner Heimat einen ansprechenden Gig über stattliche 75 Minuten. Bandinterne Klassiker wie „Hey wir sind Heiden“ und das „Templerschaf“ auf Basis der Pippi-Langstrumpf-Melodie fehlen dabei ebenso wenig wie der textlich vielleicht stärkste RABENSCHREY-Song aller Zeiten namens „Walhalla“. Einzig „Tanze dir“ dürften manche Fans in der Songauswahl vermisst haben. Erfreulicherweise erwischt Donar stimmlich einen starken Tag und überzeugt auch bei getrageneren Nummern wie „Bilder auf die Haut“ aus neueren Jahren. Einzig „Brennen“ gerät als finaler Abschluss im Vergleich zu möglichen Alternativen arg plump und wenig besonders.
Was folgt ist die nächste Generation im weit gefassten Genre des Deutschrock: MAERZFELD. Diese sind seit einigen Jahren regelmäßig zu Gast im Süden Deutschlands und waren u.a. im Vorprogramm von In Extremo und Stahlmann zu sehen. Im Zentrum des Auftritts steht erwartungsgemäß das Zweitlingswerk der Musiker namens „Fremdkörper“. Wie sich herumgesprochen hat, sind MAERZFELD bereits durch ihr Rammstein-Coverprojekt Stahlzeit international bekannt geworden. Und das kommt nicht von ungefähr: Sänger Heli Reissenweber ähnelt Till Lindemann nicht nur optisch, sondern auch stimmlich. Gewiss kein Nachteil, wenn Newcomer solche Assoziationen hervorrufen, aber risikoreich, wenn sie auf Dauer genau auf jene Parallelen reduziert werden. Durch ihre Erfahrung stellen die Musiker sofort erfolgreich einen ersten Publikumsbezug her, obwohl das Sextett mit reduzierten Showelementen bei Tageslicht mehr von seiner Musik lebt als in überdachten Locations und höherem optischem Aufwand. Dennoch überzeugen MAERZFELD mit Songs wie „Spieglein“ und der neuesten Videoauskopplung „Fremdkörper“. Auch die ruhigeren Kompositionen kommen unter freiem Himmel gut zur Geltung. Lediglich einige sprachlich fragwürdige Textstellen in manchen Liedern irritieren am Rande. Unter dem Strich also keine Überraschung, dass Heli und seine Jungs kommendes Jahr zusammen mit Eisbrecher auf Tour gehen werden.
Als das Veldensteiner Festival 2014 gerade Fahrt aufgenommen hat, wird es durch die vermaledeite Technik jäh ausgebremst: Als STAHLMANN bereit sind, um mit ihren ersten Takten richtig loszulegen, streikt der bandeigene Mac – und lässt sich erst nach einer längeren Pause wieder notdürftig in Betrieb nehmen. Mit der Betonung auf „notdürftig“. Sänger Mart ist dies sichtlich unangenehm, doch das Publikum reagiert vorbildlich und feiert mit den Männern in Silber nach der längeren Verschnaufpause in der verbliebenen halben Stunde umso heftiger. Zwar fehlen Live-Kracher wie „Spring Nicht“ oder „Süchtig“, doch auch „Schwarz“, „Stahlwittchen“ und „Hass Mich…Lieb Mich“ funktionieren – und marschieren im straffen Elektro-/NDH-Mix. Das Tempo steckt an und auch Balladeskes wie „Engel der Dunkelheit“, welches Mart einer unglücklichen Liebe gewidmet hat, werten die Show spürbar auf. Die ersten „Zugabe“-Sprechchöre sind nach dem arg reduzierten Set die logische Folge, doch beim folgenden „Traumfrau“ fliegt dem Quartett die verbliebene Technik endgültig um die Ohren und der Song ist kaum mehr als eben dieser zu identifizieren. Dennoch verdienen STAHLMANN und vor allem das geduldige Festivalpublikum ein großes Lob dafür, aus dieser Situation das Maximum herausgeholt zu haben. Die kommende Herbsttour nebst viertem Studioalbum dürfte dann wiederum in aller Ausführlichkeit beweisen, warum Alex Wesselsky anno 2010 die Stahlmänner ins Schlepptau seiner Eisbrecher genommen hat.
Das Phänomen MONO INC. begleitet die deutsche Gothic-Rock-Szene nun schon seit längerer Zeit, genauer gesagt über zehn Jahre. Beinahe jährlich wartet das Quartett mit neuem Material auf und polarisiert damit zusehends. Gleiches gilt für die Live-Shows von Fronter Martin Engler und seinen drei Gefährten, die sich seit ihrer ersten Headliner-Tour 2010 einige Sympathien – im wahrsten Sinne des Wortes – verspielt haben. Für 2014 steht nun das erste Best-Of namens „The Clock Ticks On“ sowie eine Akustikplatte als Doppel-CD in den Startlöchern. Haben wir uns an anderer Stelle schon ausführlich zum letzten Album „Nimmermehr“ geäußert, soll es sich hier nur um die Performance der Hamburger auf Burg Veldenstein drehen. Anfangs haben alle vier Musiker ebenfalls mit technischen Problemen zu kämpfen, was allerdings nicht für „Heile heile Segen“ als Opener entschuldigt. Dieser stößt buchstäblich auf taube Ohren und verpufft in Neuhaus spurlos. Doch bei diesem Rohrkrepierer bleibt es nicht: So steigen MONO INC. kontinuierlich in der Publikumsgunst und zaubern gegen Ende eine beachtliche Stimmung in den Burghof. Besonders das Gary-Moore-Cover „After The War“ und die Kombi aus „Voices Of Doom“ sowie „Get Some Sleep“ am Ende funktionieren endgültig anstandslos. Über die Abstecher in deutsche Sprachgefilde wie in „Seligkeit“ kann man allerdings auch live geteilter Meinung sein, so man nicht von der Stimmung davongetragen wird.
Die Eidgenossen von ELUVEITIE anstelle der Apokalyptischen Reiter sind die einzige Neuzugang im Billing des Veldensteiner Festivals. Die Band nutzt diese willkommene Gelegenheit, um an altbekannter Stelle erste Stücke von ihrem neuen Album „Origins“ zu präsentieren. Das melodische „Call Of The Mountains“ erweist sich dabei als einen Tacken livetauglicher und einprägsamer als das eher unauffällige „King“. Allgemein stellt sich die Frage, warum Chrigel und Co. unter freiem Himmel vereinzelt den Fokus gezielt auf Mosh und Circle Pits zu Liedern wie „The Siege“ oder „Havoc“ legen, wenn Harmonischeres wie „Helvetios“, „A Rose For Epona“ oder bandeigene Klassiker wie „Inis Mona“ mindestens genauso gut funktionieren und gleichzeitig den Folk im Folk Metal der Schweizer entsprechend betonen. Bereits zu Beginn treten die Adern an Chrigels Schläfen deutlich hervor, während er sich um Kopf und Kragen growlt. Im starken Kontrast dazu steht Annas Klargesang, der dieses Mal auch live deutlich besser klingt als im Vorjahr auf Burg Abenberg, wenige Kilometer weiter südlich. Die Energie des Auftritts scheint ebenfalls deutlich besser im Zuschauerraum anzukommen und so mischen sich dieses Mal wild fliegende Mähnen abwechselnd mit einzelnen Sangeschören zu einem stimmungsvollen Ganzen.
Ebenfalls mehr als zehn Jahre sind vergangen, seit Alex Wesselsky und Noel Pix bei Megaherz ausgestiegen sind, ihre persönlichen Differenzen klärten und anschließend das Projekt EISBRECHER ins Leben riefen. Zum Zehnjährigen griffen die Rocker Ende letzten Jahres tief in ihre Archive. Mit Unterstützung ihrer Fans wurde eine Setliste gestaltet, die neben dem Besten, was der Deutschrockdampfer aktuell zu bieten hat, mit “Herzdieb”, “Adrenalin” und “Eisbrecher” auch einen gewissen nostalgischen Charme versprüht. Und was gut genug für den Winter ist, erweist sich auch im Sommer unter freiem Himmel als probates Mittel, um einen Headliner-Spot ansprechend zu gestalten. Zwar spricht Käptn Alex auffällig selten zur Menge und lobt sich statt dessen nur vereinzelt mit einem „Wahnsinn … bin ich gut“ für den Text zu „This Is Deutsch“, doch die Lieder aus über einer Dekade Bandgeschichte sprechen größtenteils für sich. Spezifisches Zubehör wie die Reitgerte zu “Schwarze Witwe” oder die Trommeltonnen bei “Amok” werten die Show zusätzlich auf. Dabei ist es fernab der Nebelfontänen und anderer Elemente angenehm zu sehen, wie EISBRECHER ihrem Stil treu geblieben sind und sich dennoch – parallel zu einem Universal-Plattendeal – musikalisch weiterentwickelt haben. Hier gibt es keine pro-forma Akustikalben, englische Versionen eigener Lieder oder andere bekannte Verkaufsspielchen, um eigenes Material noch einmal profitträchtig an den Mann bzw. an die Frau zu bringen. Stattdessen zelebriert die Combo ihre eigene Form von deutscher Rockmusik, die vielschichtiger ist als sie manchmal wirkt wie z.B. in „Leider“. Lediglich stimmlich hat man Alex Wesselsky schon besser gehört als in Neuhaus 2014. Dies mag aber auch der Technik vor Ort geschuldet sein.
Apropos vielschichtig: Wer vom Veldensteiner 2014 eine Art NDH-Einheitsbrei erwartet hat, wird positiv überrascht. Ob Gothic-Elemente von MONO INC., Elektronisches von STAHLMANN oder Folkiges von ELUVEITIE – alle Bands wissen größtenteils zu überzeugen. Dazu gesellt sich mit dem Abschied von RABENSCHREY ein kleiner nostalgischer Moment, der noch dazu musikalisch ebenfalls unterhält und keineswegs reihenweise Indizien für das Aus der Kapelle liefert. EiSBRECHER und ihr inzwischen erprobtes Best-Of-Set sind einem Headliner-Spot ebenfalls würdig und so setzt das VELDENSTEINER FESTIVAL in diesem Jahr ein erstes, gelungenes Ausrufezeichen in seiner neuen Ära. Andererseits gilt durch Dudelsack und Flöten zumindest 2014 noch am Rande: Folk’s not dead! Dies ist wiederum eine schöne Reminiszenz an die Vergangenheit, die hoffentlich nie ganz in Vergessenheit gerät.